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Sonnenbrille im Haar. Beide Schultern kokettieren wild wippend miteinander um die Wette. Die Katzenaugen lachen. Olga Peretyatko, ungeachtet ihres schwer zu merkenden Namens, scheint die Welt im Sturm erobern zu wollen. Und hat gute Chancen. Anders als bei den rivalisierenden Mädchen von der Sopran-Front haftet ihr nichts Altmodisches, nichts Aufgesteiftes und nichts Opernfestliches an. Sie ist modern, zupackend und verströmt einen leichten Ruch von Prenzlauer Berg.
Mit Empfehlung ausgefuchster Kritikerkollegen wurde sie an einen der großen Klassik-Majors depeschiert. Ihr Rollenfach – die höchsten Baumwipfel, in denen es nur noch zwitschert und kiekst – ist enorme Mangelware. Und persönlich weiß die 31-Jährige zu überraschen. Indem sie ihr Licht unter den Scheffel stellt und einfach auf Petersburger Mütterchen macht.
»In Berlin bin ich am häufigsten in Altenheimen und Krankenhäusern aufgetreten«, sagt sie. Ihre erste Wohnung in Berlin-Prenzlauer Berg habe 75 Euro Kaltmiete gekostet. »Ich wog 80 Kilo«, prahlt sie, »und hatte keine Ahnung, dass ich ein Koloratursopran bin. Ursprünglich bin ich doch Chordirigentin «. An ihren Vorbildern hätte sie ihre heutige Bestimmung vielleicht erkennen können. Sie sang damals noch Alt. Aber: »Sängerin werden wollte ich wegen der großartigen Joan Sutherland.« Dass ihre Stimme mit einem anderen, heutigen Vorbild eine gewisse Ähnlichkeit hat, weiß sie, weil man es ihr immer wieder gesagt hat: Olga Peretyatko wird von manchen als die neue Edita Gruberova gehandelt. Derlei Vergleiche sind höchst gefährlich. Die Petersburgerin hat bislang in Europa kaum Premieren gesungen. Ist der Presseöffentlichkeit mithin nicht einmal bekannt. In Rheinsberg startete sie, ging ans Opernstudio nach Hamburg. In Bad Wildbad sagte die späte Joan Sutherland einige »goldene Worte« zu ihr. Peretyatko versank im Boden vor Bewunderung. Aber nicht vor Furcht. Ihren praktischen Schliff erhielt die Eisler-Studentin beim berühmten Rossini-Festival in Pesaro. Dort arbeitete der legendäre Alberto Zedda eingehend mit ihr. Dort lernte sie auch ihren Freund kennen. Und dort stand sie erstmals gemeinsam mit Juan Diego Florez auf der Bühne – in »Otello«.
Ihr Rollenprofil hat sich rasant entwickelt. »Nie mehr Blondchen!« verkündet sie im Hinblick auf die gleichnamige Naive in Mozarts »Entführung «. Soll heißen: Abschied vom Soubrettenfach. Und: »Gilda, Lucia di Lammermoor und Zerbinetta, ich komme!!!« An der Komischen Oper zwitscherte sie schon Olympia in Repertoirevorstellungen von »Hoffmanns Erzählungen «. Bei Wagners »Ring des Nibelungen« in Valencia (unter Zubin Mehta) war sie der Waldvogel. 2015 singt sie, vorsichtig und weitab vom Schuss in Lausanne: »Meine erste Traviata!«
Einstweilen verrät ihre Debüt-CD bei Sony eine beneidenswerte Balance aus blitzenden Spitzentönen und einem glutrot schmelzenden Stimmfundament. Das hat mit demjenigen von Anna Netrebko eine gewisse Ähnlichkeit. Gestalterische Unbeschwertheit und Witz zeigen, dass Sony (nach dem Glücksgriff mit Tenor Vittorio Grigolo) schon wieder eine Entdeckung gemacht hat.
Edle Miniportionen aus Rossinis »Türke in Italien« und »Otello«, dazu Donizetti, Verdi, Dvořák und Massenet verraten, dass hier jemand sein Pulver noch nicht verschossen hat. Peretyatko ist flatterhaft und pointensicher, lyrisch und dramatisch begabt – und ein Hingucker der Branche. Mit Miguel Gómez-Martínez am Pult des Münchner Rundfunkorchesters wedelt dazu ein trefflicher alter Opernfachmann. So machen Debüt- CDs Spaß.
Entwicklungsspielräume hört man schon auch noch. Doch neben Anna Prohaska (bei der Deutschen Grammophon) ist die russische Olga der zweifellos beste Sopran-Neuzugang in letzter Zeit. Fehlt nur noch eine Stafette von Auftritten, um sich persönlich von ihr ein Urteil zu bilden. »Meine schwache Seite«, sagt sie zu diesem Thema ehrlich und gibt zu, dass sie demnächst vor allem in Amsterdam, Basel und Wien singen wird. Immerhin. Die Neugier auf sich hat sie mit ihrer neuen CD längst geweckt. Gern mehr davon!
Robert Fraunholzer, 30.11.1999, RONDO Ausgabe 4 / 2011
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