Startseite · Interview · Gefragt
(c) Simon Fowler
Was macht ein Countertenor im Lockdown? „Ich habe meine Geige hervorgeholt, aber das wird nichts mehr“, lacht Philippe Jaroussky. „Ich habe ja zunächst Violine und Klavier studiert. Klavier habe ich in den letzten Monaten viel geübt, das immerhin habe ich mir sehr gut bewahrt, schon deshalb, weil ich mich beim Ariensingen begleiten kann.“ Außerdem hat der 42-Jährige viel Zeit in seiner Pariser Wohnung verbracht und darüber nachgedacht, wie er künftig seine Karriere gestalten möchte. Er hat aufgenommen, nicht nur ein Album, sondern gleich mehrere. Und er hat diverse Projekte angestoßen. „Zum Beispiel werde ich nächstes Jahr meine erste komplette Oper dirigieren, denn das Am-Pult-Stehen, was ich mit meinen Ensemble Artaserse gegenwärtig ja selten mache, das soll künftig regelmäßiger stattfinden.“ Stattgefunden hat es zuletzt im Juni. Im zweiten Anlauf. Da nämlich rief der Sänger, nach einer ersten, Coronabedingten Absage, seine handverlesenen Musiker in ein Pariser Studio zusammen, um einen lange gehegten Aufnahmeplan umzusetzen: „La vanità del mondo“. „Sicher im Ergebnis auch der passende Titel für die gegenwärtigen Zeitumstände, denn die Tour dazu ist schon wieder geplatzt“, erzählt er mit leisem Sarkasmus. Aber ich wollte lange schon italienische Oratorienarien aufnehmen. Denn das Ende des 16. Jahrhunderts, das ist eigentlich die Musikzeit, die ich am meisten liebe. Die Virtuosen-Dinger sind inzwischen nicht mehr so sehr meins, obwohl ein Scarlatti oder Bononcini die Technik immer noch ganz schön herausfordern. Inzwischen freilich liebe ich mehr das Kontemplative, die Innigkeit des Singens. Das sind einfach nachdrücklichere Emotionen.“ Und hier, in diesem meist chorlosen Oratorienuniversum, wo es allerdings ähnlich dramatisch zugeht wie in vielen Opern, nur mit geistlichem Personal, da darf Philippe Jaroussky nicht nur Engel, sondern sogar Gottvater sein. „Und im Duett mit mir singe ich auch.“ Ausgewählt hat er alle neun Komponisten selbst, zum Teil völlig Unbekannte, die mit zwölf Arien auf dem Album vertreten sind. Fünf Weltersteinspielungen sind darunter, „eine Spürnase hatte ich schon immer und das Notenprüfen macht mir einfach Spaß. Manches, wie die Arie von Nicola Fago, hatte ich schon lange auf der Liste. Und es ist schön für mich, quasi zu meinen Anfängen zurückzukehren, als ich mit Scarlattis ,Sedecia‘ unter Gerald Lesne vor gut zwanzig Jahren meine erste CD für Virgin eingespielt habe.“ Wichtig war ihm auch, das Publikum mit auf eine Hörreise in ein noch unbekanntes Klangland mitzunehmen: „Damals sind in kurzer Zeit ungemein vielfältige und kostbare Stücke entstanden, von denen wir nur einen Bruchteil kennen. Eine wirklich populäre Arie ist nur Georg Friedrich Händels ‚Lascia ch’io pianga‘ aus dem römischen Oratorium ‚Il trionfo del Tempo e del Disinganno‘ und das auch nur in der späteren ‚Rinaldo‘-Überarbeitung.“ Und dann wird er wieder nachdenklich: „Vielleicht werden die derzeitige Krise und diese vor etwa 300 Jahren komponierten Arien ja unser Gewissen wachrütteln.“ Zumindest ein bisschen.
Matthias Siehler, 28.11.2020, RONDO Ausgabe 6 / 2020
Farbenlehre
Beethoven – gebrochen durch Bach und Moderne: So geht die hippe Streicherformation ihr […]
zum Artikel
Noble Geste
Gemeinsam mit András Schiff widmet sich der auch als Instrumentalist glänzende Komponist […]
zum Artikel
„Beethörende Natur“
Seit 2003 öffnet die Berliner UdK ihre Pforten mit dem Musikfestival „crescendo“, bei dem […]
zum Artikel
Ihre Wochenempfehlung der RONDO-Redaktion
An dieser Stelle finden Sie Inhalte eines Drittanbieters, die Sie mit einem Klick anzeigen lassen können.
Mit dem Laden des Audioplayers können personenbezogene Daten an den Dienst Spotify übermittelt werden. Mehr Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.
Der Komponist Johann Joachim Quantz (1697-1773) war auch ein exzellenter Flötist und nahm als Flötenlehrer Friedrichs des Großen eine privilegierte Stellung im musikalischen Leben am preußischen Hof ein. Viele seiner Werke ebenso wie viele der von ihm gebauten Flöten entstanden ab 1741 exklusiv für den Monarchen. Der belgische Flötist Frank Theuns spielt hier auf einer originalgetreuen Kopie einer Quantz-Flöte einige dieser „Privat-Konzerte“. Theuns und sein sechsköpfigen […] mehr