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N° 1353
13. - 21.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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(c) Christoph Köstlin

Elīna Garanča

Auszeit im Liederwald

Zwangspausen halten die Mezzosopranistin nicht von der Kunst ab: Mitten in der Corona-Krise legt sie ihr erstes Lied-Album vor.

Auch sie hatte der Lockdown voll erwischt. Vom Volldampfleben eines international gebuchten Opernstars musste Elīna Garanča Anfang März auf null zurückschalten, zumal durch Zufall in ihrer zweiten Heimat Spanien, das besonders hart von der Pandemie getroffen wurde. Eine schwierige, aber auch aufschlussreiche Zeit, die sie zusammen mit ihrem Mann, dem Dirigenten Karel Mark Chichon, und den beiden Kindern sehr intensiv erlebt hat. „Klar“, sagt Elīna Garanča mit Blick auf die beruflichen Einschränkungen, „auch wir müssen über unsere Existenz nachdenken. Aber wir sind nicht im Krieg, die Kühlschränke sind voll, und wir sollten positiv bleiben. Ich kann verstehen, wenn man sich gegen die Beschränkungen wehrt. Aber wenn man Leute kennt, die selbst Familienangehörige durch Corona verloren haben, hat man eine andere Sicht auf die Dinge.“ Abgesehen von vielen neuen Erkenntnissen geht Elīna Garanča auch künstlerisch nicht mit leeren Händen aus den vergangenen Monaten heraus. Vielleicht muss man der Krise sogar ausnahmsweise dankbar sein. Denn ohne Corona hätte es, zumindest zum jetzigen Zeitpunkt, ihr aktuelles Album wohl nicht gegeben. „Ich hatte zwar schon seit längerem mit meinem Label über das erste reine Lied-Album gesprochen, und die Zeit war eigentlich auch reif“, sagt Elīna Garanča. „Aber es passte irgendwie nie von den Terminen, weil ich zu viel Oper und zu viele Konzerte hatte. Darum haben wir das Projekt immer wieder verschoben. Jetzt während der Corona-Beschränkungen hatten wir einmal Zeit und Gelegenheit. Endlich konnte ich ein Repertoire aufnehmen, das ich schon seit vielen Jahren singe.“ Im Juli begab sie sich nach Berlin, um hier gemeinsam mit dem schottischen Pianisten Malcolm Martineau im Studio zu arbeiten. Kern des Programms bildet der Zyklus „Frauenliebe und -leben“, den Robert Schumann in seinem „Liederjahr“ 1840 auf Texte des romantischen Dichters Adelbert von Chamisso (1781– 1838) komponierte. Nur zwei Tage brauchte der hochinspirierte junge Tonschöpfer, um die sieben Gedichte (ein achtes blieb unberücksichtigt) zu vertonen. Der Gedanke an die bevorstehende Hochzeit mit seiner Verlobten Clara mag ihn beflügelt haben, denn erzählt wird hier die Geschichte einer völligen Hingabe, von den unterschiedlichen Stadien des Zusammenlebens einer Frau mit einem zutiefst geliebten Mann: vom ersten Kennenlernen, über Hochzeit und Mutterschaft bis zum plötzlichen und unerwarteten Tod des Partners, der gleichzeitig das eigene Leben beendet.

Keine Opferrollen

Viele berühmte Sängerinnen von Christa Ludwig bis Jessye Norman haben diesen Zyklus gesungen und in bemerkenswerten Aufnahmen für die Nachwelt festgehalten. Während die hohe Qualität der Komposition nie infrage stand, bereitet das darin vermittelte Frauenbild heutzutage Kopfzerbrechen. Sollte man die völlige Entäußerung der eigenen Persönlichkeit für einen Mann heute tatsächlich noch besingen? Elīna Garanča findet, dass die Kritik an diesem zugegebenermaßen sehr im 19. Jahrhundert verhafteten Zyklus zu kurz greift. „Wenn ich diese Lieder singe, stoße ich nicht auf einen inneren Widerstand“, sagt sie. „Ich finde eher, dass der heutige Feminismus in manchen Aspekten in die falsche Richtung geraten ist, und dass man sich selbst zu sehr in die Opferrolle hineinbegibt.“ Frau und Mann in Schumanns Zyklus bewegten sich auf einer künstlerisch überhöhten emotionalen Ebene. „Das findet nicht im Hier und Jetzt statt, sondern in einer Parallelwelt, wo man die Hingabe oder das Hindienen, wenn man so will, nicht mit Sockenwaschen oder Ähnlichem verwechseln darf“, sagt Elīna Garanča, die beim Singen ihre eigene, gleichberechtigte Partnerschaft vor Augen hat. „Auch wenn ich die Powerfrau bin, will und mag ich trotzdem zu jemandem gehören und mich ihm anpassen – denn das Gleiche bekomme ich ja auch zurück. Wenn sich Frauen als bloße Untertaninnen sehen, kann ich nur sagen: Sucht euch einen besseren Mann.“ Sie selbst hat „Frauenliebe und -leben“ häufiger im Konzertsaal interpretiert, und der Zyklus begleitet sie schon seit vielen Jahren. Seit Jahrzehnten eigentlich, denn schon im Kindergartenalter wurde Elīna Garanča Ohrenzeugin, wie ihre Mutter ihn sang. „Es gab sogar eine Art Verfilmung im lettischen Fernsehen mit ihr und einem Schauspieler“, erinnert sie sich. Die Entscheidung, diese Lieder selbst einzustudieren, kam jedoch unabhängig von den Erfahrungen aus der Kindheit. „Das ist so ähnlich wie mit der ‚Winterreise‘, wo man sagt: Jetzt bin ich bereit, eigene Erlebnisse durch diese Lieder nach außen zu kommunizieren, um meine Emotionen loszuwerden. Und so bin ich auch mit diesem Zyklus verfahren. Ich habe gefühlt, ich bin bereit, mich als diese Frau zu präsentieren. Denn ich weiß, wie es ist, wenn der Richtige dich anschaut, wenn man einen Heiratsantrag bekommt, aber auch, wenn man eine wichtige, eine nahestehende Person verliert. Damals hatte ich zwar noch keine Kinder, aber heute ist das Gefühlsspektrum in diesem Zyklus vollkommen abgedeckt.“ Schumanns Lieder stehen am Anfang des Albums. Das restliche Programm setzt sich aus Werken eines anderen zusammen, der ebenfalls eine ganz besondere Bedeutung für die Lied-Sängerin Elīna Garanča hat: Johannes Brahms. „Das war eine ziemlich leichte Wahl für mich“, sagt sie, „denn es gibt kaum jemanden, der so schön für die Mezzo-Stimme schreiben konnte wie er.“ Die Lieder stammen aus den unterschiedlichsten Schaffensperioden des Komponisten, von jugendlichen Stimmungsbildern des 20-Jährigen („Liebe und Frühling II“ und „Liebestreu“) bis zum „Mädchenlied“ des zum Schwergewicht gereiften Best Agers. „Hier spielt sicher die inhaltliche Stimmung, aber auch die musikalische Atmosphäre eine entscheidende Rolle“, erläutert Elīna Garanča ihre Zusammenstellung. Doch auch bei Brahms fließen persönliche Erlebnisse und Erfahrungen ein. „Es gibt zwei Lieder, die mich schon sehr lange begleiten, einmal ‚O wüsst’ ich doch den Weg zurück‘ und ‚Von ewiger Liebe‘. Damit bin ich 1999 in meinen ersten Wettbewerb gegangen, den Mirjam-Helin-Gesangswettbewerb, den ich damals auch gewonnen habe.“ Der Rest besteht aus Klassikern, die Elīna Garanča ebenfalls oft in Konzerten gesungen hat. „Es ist ein bisschen was von allem dabei. Wichtig war mir vor allem die Abwechslung und dass ich in den verschiedenen Liedern verschiedene Welten aufzeigen kann.“ Kunst als Alternative: Was könnte die „reale“ Welt draußen derzeit besser gebrauchen?

Erscheint am 6. November:

Schumann, Brams

Lieder

Garanča, Martineau

DG/Universal

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Hochzeitsgaben

Sowohl in privater als auch in beruflicher Hinsicht war das Jahr 1840 eine Art Schicksalsjahr für Robert Schumann. Im September konnte er endlich, nach langen, teilweise gerichtlich ausgetragenen Auseinandersetzungen mit ihrem Vater, seine Verlobte Clara Wieck heiraten. Doch auch als Komponist machte er sich zu neuen Ufern auf: Nachdem er zuvor fast ausschließlich Klavierwerke komponiert hatte, wandte Schumann sich erstmals der Gesangsstimme zu und verfiel dabei in einen wahren Schaffensrausch. Der Zyklus „Frauenliebe und -leben“ op. 42 gehört zu den über 120 Klavierliedern, die Schumann innerhalb nur eines Jahres schrieb.

Stephan Schwarz-Peters, 31.10.2020, RONDO Ausgabe 5 / 2020



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