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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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(c) Roman Weyeneth

Stadtcasino Basel

Konzertsaal mit Quantensprung

Herzog & de Meuron spielen in ihrer Heimat auf: Nach vierjähriger Sanierung öffnet das Basler Stadtcasino wieder seine Konzertpodien.

Das Gesamterlebnis Konzertbesuch hat einen Quantensprung erfahren.“ Thomas Koeb ist hörbar stolz auf das Ergebnis der vierjährigen Umbauarbeiten im Basler Stadtcasino. Eidgenössisches Understatement mag anders klingen, doch manchmal erfasst eben selbst einen Schweizer Direktor der Überschwang. Oder hat der Geschäftsführer des Konzertund Veranstaltungshauses im Herzen der Innenstadt am Ende lediglich nüchtern ein Resümee gezogen – bald 145 Jahre nachdem hier im Stadtzentrum in unmittelbarer Nachbarschaft der Barfüsserkirche erstmals ein Konzert erklungen war? Akustisch hatte Basels gute Konzertstube schon vor der Renovierung zu den zehn besten Musiksälen der Welt gezählt: Der große Saal im Stadtcasino – Kammermusiker geben sich im benachbarten Hans-Huber-Saal mit seinen 420 Plätzen ein Stelldichein – ist nach dem klassischen Schuhkastenprinzip“ gebaut, zudem sorgt die neobarocke Ausstattung mit Stuckornamenten und Pilastern für ein Klangerlebnis, das sich mit dem Wiener Musikverein oder dem Concertgebouw in Amsterdam messen kann. Weit weniger attraktiv indes hatte zuletzt die unmittelbare Umgebung angemutet: Zu klein das Foyer, zu eng die Gänge, zu wenig Platz im Backstagebereich, die fehlende Saallüftung sorgte in den Sommermonaten immer wieder für Schweißausbrüche auf der Bühne und Ohnmachtsanfälle im Publikum – und die letzte technische Modernisierung lag auch bereits vier Jahrzehnte zurück. Insofern waren sich eigentlich alle schon seit langem einig, dass die alte Dame des Basler Musiklebens dringend eines Face-Liftings bedurfte: Allein, auf den Chirurgen vermochten sich die Deutschschweizer nicht zu einigen. Einen internationalen Architekturwettbewerb 2005 hatte zwar Zaha Hadid für sich entschieden – und sich damit auch gegen lokale Größen wie die späteren Elbphilharmonie-Baumeister Herzog & de Meuron durchgesetzt – doch ihre Ideen waren den Baslern allzu kühn und modern: Beton, Glas und Stahl sahen die Entwürfe der inzwischen verstorbenen britisch-irakischen Architektin vor, zudem einen Teilabriss des historischen Gebäudes – ein Volksentscheid stoppte 2007 diese radikale Umgestaltung. Sodass 2012 dann doch noch die heimischen Baumänner zum Zuge kamen und die Stadt Jacques Herzog und Pierre de Meuron mit einer Studie und in deren Folge dann dem Umbau beauftragte – und damit das Stadtcasino 2016 für vier Jahre als Aufführungsstätte dem Basler Musikleben entzog.

Von außen demütig, innen opulent

Das nun der Öffentlichkeit präsentierte Ergebnis mag auf den ersten, äußeren Blick nicht nur Architekturkenner überraschen: Haben sich die Baukünstler doch bei der Fassade in ihrem Gestaltungsdrang sehr zurückgehalten, greifen etwa in Richtung der Barfüsserkirche in ihrer Erweiterung nur dezent den neobarocken Stil des Altbaus auf – ohne deren massives Gemäuer zu verdoppeln. Stattdessen dient Holz als Verkleidung, ist die Steinfassade lediglich aufgemalt. Erst im Inneren trumpfen die Architekten dann auf: „Während wir für das äußere Erscheinungsbild einen simulativen Ansatz verfolgt haben, wollten wir im Innern die stilistischen Elemente des 19. Jahrhunderts zelebrieren und die Künstlichkeit dieser Elemente in Bezug auf Formen, Materialien und Farben noch hervorheben.“ Was ebenso dunkelrote Brokattapeten, wie sie einst für die Pariser Opéra Garnier gewoben wurden, mit sich gebracht hat wie eigens entwickelte, perückenähnliche Wandleuchten, deren Lichtspiel Spiegel und das silberne Schlagmetall an den Decken reflektieren. Eine üppige Polster-, Plüsch und Glitzer-Opulenz, die sich bis in die Toiletten fortsetzt – ein Schelm, wer dabei an Separees anderer Vergnügungsstätten denkt …
Auch akustisch hat der Saal offenbar noch einmal gewonnen. So lassen die Klangergebnisse der aufwendig entwickelten, tiefroten Samtbestuhlung, des beweglichen Podiums und des schwebenden Holzfußbodens Dirigent Ivor Bolton nach den ersten Proben und Wiedereröffnungs-Konzerten in der zweiten Augusthälfte schwärmen: „Die Akustik scheint mir noch besser als zuvor zu sein, die geschwungenen Kanten der Bühne sorgen für einen warmen tiefen Klang, ohne dass die Bässe dröhnen“, hat der Chef des Basler Sinfonieorchesters (SOB) festgestellt. Was beim ersten öffentlichen Konzert des Briten mit dem städtischen Vorzeigeensemble im Finale von Dvoraks Neunter eindrucksvoll zu erleben war. Vor allem aber töne es nun „frischer, lebendiger, klarer“ durch Parkett und Rang, freute sich der für die Renovierung verantwortliche Akustiker Karlheinz Müller – dass solch eine Transparenz auch manche Blechbläserschwäche unbestechlich offenlegt, zeigte der Abend indes auch…
Zur (Wieder-)Eröffnung hatte es einen „Alpsegen für den neuen Saal“ gegeben, beschwor der Künstlerische Direktor Hans-Georg Hofmann „Frieden und Weite aus der Bergwelt“: Für die Uraufführung ihrer „Einkreisung“ hatte die Basler Komponistin Helena Winkelmann acht Alphörner im Parkett sowie auf Emporen und Seitengalerien verteilt und ließ sie die Klangwelten zwischen Tradition und Moderne ausloten. Akustisch durchaus gelungen, so dass Bolton sich eine kleine subtile Spitze Richtung Hamburger Elbphilharmonie nicht verkneifen konnte: „Für das Orchester ist es ein Leichtes, sich gegenseitig zu hören – was in manch berühmtem Konzertsaal der jüngsten Zeit nicht immer selbstverständlich ist.“
Zwar wurde die Saalmiete verdoppelt, doch mit 8000 Franken für den nun 1400 Plätze fassenden Saal „ist das Stadtcasino immer noch günstig“, stellt Koeb fest. Sowohl die heimischen Orchester und Ensembles als auch die Konzertveranstalter der Stadt scheinen denn angesichts des Zugewinns an Komfort und Empfangsflächen auch keine Probleme mit den gestiegenen Preisen zu haben, zumal Laienensembles 25 Prozent Rabatt erhalten: „Die Zahl unserer Veranstaltungen wird noch steigen“, zieht der Geschäftsführer ein erstes Buchungsfazit zum Auftakt der neuen Spielzeit – die der SOB-Abonnenten hatte bereits vor den ersten Tönen um 15 Prozent zugenommen.
Und die Kosten für diesen Quantensprung? 77,5 Millionen Franken (rund 72,1 Millionen Euro) hat die Casino-Gesellschaft in die Modernisierung des historischen Gebäudeensembles investiert: Knapp die Hälfte der Gelder übernahm der Kanton, der Großteil der übrigen Summe stammte mit mehr als 35 Millionen Franken von Stiftungen und Mäzenen – „das hat in Basel Tradition“, so Koeb. Ausgaben, die in der Schlussabrechnung dank „rigoroser Kostenkontrolle“ tatsächlich den ursprünglich geplanten Zahlen entsprechen: Selbst die Bauzeitüberschreitung um ein Jahr – eigentlich war die Wiedereröffnung für den Sommer 2019 vorgesehen gewesen – hat die Kosten nicht in die Höhe getrieben. Hatte es doch bei den Arbeiten im Untergrund des Stadtcasinos für die begleitenden Archäologen deutlich mehr zu erkunden gegeben als angenommen, sodass sich die Forschungen auf dem ehemaligen Klostergelände der Franziskaner länger hinzogen als geplant. Am Ende bargen die Wissenschaftler im Zuge ihrer Ausgrabungen allein 270 Skelette – finanzielle Leichen im Keller indes blieben ihnen erspart. Schweizer können offenbar doch besser mit Geld umgehen.

Faites vos jeux!

Glücksspiel und Amüsement? Nein, die Kultur stand und steht bis heute im Mittelpunkt des Stadtcasinos – mag der Name auch eher an Croupiers und Jetons denken lassen. Doch der Begriff knüpft an eine Tradition des 19. Jahrhunderts an, als nach der französischen Revolution die bürgerliche Oberschicht gesellschaftliche Vereine gründete und sich zur Freizeitgestaltung in eigens für kulturelle und soziale Aktivitäten gebauten Häusern traf – in Anlehnung an eine italienische Tradition wurden diese „Spielstätten“ als Casino bezeichnete. So auch in Basel, wo 1822 der Architekt Melchior Berri den Auftrag erhielt, einen Konzert- und Tanzsaal mit Restaurant zu bauen.

Christoph Forsthoff, 05.09.2020, RONDO Ausgabe 4 / 2020



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