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(c) Felix Broede
Beethoven hat abgenommen. Auch er. Sei es nun dem heutigen Schlankheitswahn geschuldet oder der gesünderen Ernährung der Pianisten: Im Vergleich zum alerten, agilen und spitzfingrigen Herbert Schuch wirken alle Beethoven-Titanen von einst (Backhaus, Schnabel etc.), als litten sie unter Bauchspeck und zu dicken Hüften. Schuch tippelt mit feinen Fingern. Oder geht das etwa aufs Konto der historischen Aufführungspraxis, die schon früher ein Abspecken der Orchesterbesetzungen zur Folge hatte?! – Dieser Beethoven ist rank und schlank. Drei gewichtige Klavier-Sonaten, darunter die „Pathétique“ und die „Sturm“-Sonate, kitzelt Schuch derart, dass sie springen und tänzeln. Nicht dass sie zu schwebend würden! „Leicht oder schwer sind für mich keine Kriterien“, so der 40-jährige, im rumänischen Timișoara (Temeswar) geborene Schüler von Alfred Brendel. „Es kommt darauf an, Details abzubilden. Das mag schon eine leichte Spitzfindigkeit im Ausdruck zur Folge haben.“ Hat es, im positiven Sinne. Beethoven ist hier kein Verfechter der großen Pranke. Er will das Innenleben der Stücke zeigen. Neben den Sonaten Nr. 8, 16 und 17 hat Schuch noch drei moderne Miniaturen mit Beethoven-Bezug eingebaut. Henri Pousseurs „Coups de Des en Echos“ (auf Beethovens op. 31, Nr. 1) spielte Schuch schon als Dreizehnjähriger beim Europäischen Musikwettbewerb für die Jugend – und gewann damit den Sonderpreis. Leander Ruprecht, geboren 1999, gehört mit seiner zweiminütigen d-Moll-Sonate zur jüngsten Generation von Komponisten, die explizit auf Beethoven reflektieren. Der Komponist der „Pathétique-Varations“ schließlich, Mike Garson, war ursprünglich Keyboarder von David Bowie – er spielte beim ikonischen Album „Alladin Sane“ (mit dem geschminkten Blitz über Bowies Nase) und ebenso beim „Ziggy Stardust“-Film. „Garson wollte, dass seine Beethoven-Variationen dieselben kurzen Abmessungen haben wie der Adagio-Satz der Pathétique-Sonate“, so Schuch. „Dass ein moderner Komponist Beethoven als ‚my hero‘ bezeichnet, ist auch toll.“ Die drei neuen Stücke umfassen insgesamt nicht mehr als zehn Minuten; es handelt sich also hauptsächlich um eine Beethoven-CD. Das mag insgesamt Zeichen einer leichten Mutlosigkeit heutiger Tonsetzer sein. Liegt aber konkret daran, dass Schuch zwei der neueren Stücke in Susanne Kessels CD-Anthologie „250 piano pieces for Beethoven“ fand – einer lustigen Sammlung mit lauter Beethoven-Miniaturen (deren Entstehung sich hiermit schon gelohnt hat). Die Erklärung für den leichteren Angang und Klavier-Anschlag übrigens dürfte auch darin zu suchen sein, dass Herbert Schuch im modernen Steinway, den er spielt, dennoch Farben des Hammerklaviers nachklingen zu lassen sucht. „Das Musikalische findet im Kopf statt. Also kann man auch ein modernes Klavier wie ein altes klingen lassen“, meint er. Die Vergleiche, die er anstellt, sind durchaus modern. „Beethoven liebte es, Gegenbewegungen der linken Hand zu überlassen. Diese Gegenbewegungen sind dann genauso wichtig wie die Rückwand beim Aufbau eines Billy-Regals“, meint er. „Wenn man da einmal die Schrauben falsch angezogen hat, steht das ganze Regal schief.“ Der Mann, der seit Jahren in Köln lebt, denkt praktisch. Und spielt schön.
Robert Fraunholzer, 05.09.2020, RONDO Ausgabe 4 / 2020
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