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N° 1354
20. - 28.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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(c) Andreas Lander

Nuria Rial und Artemandoline

Venezianisches Parfüm

Wie klingt Venedig? Nuria Rial und das Ensemble Artemandoline gehen dieser Frage bei einer Reise durch die barocke Opernwelt nach.

Selbst in ihrem eigenen musikalischen Umfeld stoßen Barockexpertinnen noch immer auf Überraschungen. Für Nuria Rial war es die Mandoline, die heute von vielen nur als reines, meist im Massenverband vor sich hin surrendes Volksmusikinstrument angesehen wird. In Wirklichkeit aber hat sie schon vor Jahrhunderten Komponisten zu wahren Meisterwerken angeregt. „Ich war überwältigt, wie viel originelle Literatur es für die Mandoline gibt. Und zwar von denselben Barockkomponisten die ich jahrelang gesungen habe.“ Zum Fan der bauchigen Schönheit wurde Nuria Rial durch Juan Carlos Muñoz und sein Ensemble Artemandoline. „Ich war überrascht von der Eleganz dieser Instrumente und ihrem filigranen Klang“, sagt die Sopranistin, die schon bald den Kontakt mit dem Mandolinen-Experten Muñoz suchte und seitdem regelmäßig mit ihm zusammenarbeitet. Wie wunderbar die beiden musikalisch harmonieren, haben sie vor einigen Jahren bereits auf einer gemeinsamen CD demonstriert: 2015 veröffentlichte ihr Label das Album „Sospiri d’amanti“. Vor wenigen Wochen ist nun das Nachfolger-Album „Veniceʼs Fragrance“ erschienen.

Seelenkitzel mit dem Federkiel

„Gerade weil ich keine allzu schwere Stimme habe, harmoniert sie sehr gut mit dem Klang der Mandoline“, sagt Nuria Rial, „sie ist so etwas wie ein idealer Dialogpartner für mich.“ Die Rede ist im Übrigen nicht von Instrumenten moderner Bauart, sondern von der Barockmandoline, die sich sowohl in der äußeren Gestalt als auch in Besaitung und Spielweise von heutigen Vertretern dieser Instrumentenfamilie unterscheidet. „Auf dieser CD spiele ich eine Mailänder Mandoline“, erklärt Juan Carlos Muñoz. Neben ihrer neapolitanischen Schwester war sie die gebräuchlichste Mandoline im Italien des 18. Jahrhunderts – und damit in jenem Kulturraum und in jener Epoche, deren Klang das Album auf höchst poetische Weise einfängt. „Anders als die heutige Mandoline mit vier Doppelsaiten aus Stahl hat diese Mandoline sechs Doppelsaiten aus Darm und wird nicht mit einem Plektron gespielt, sondern mit Federkielen“, sagt Muñoz. Hierdurch erklärt sich der delikate Klang. Zu hören ist – neben rein instrumentalen Programmergänzungen wie zwei Mandolinenkonzerten von Vivaldi und der e-Moll-Sonate von Carlo Arrigoni (1697–1744) – auf dem Album übrigens nur Originalliteratur, also Arien, die für diese spezielle Kombination aus Zupfinstrument und Singstimme geschrieben wurden.
„Die Mandoline war im 18. Jahrhundert ein verbreitetes Orchesterinstrument und wurde bei der Aufführung von Opern und Oratorien gern verwendet“, erklärt Juan Carlos Muñoz – nicht nur in spektakulären Show-Einlagen auf der Bühne, wie etwa in Mozarts „Don Giovanni“. „Erst ab 1800 kam die Mandoline aus der Mode.“ Gerade aus Venedig mit seiner überreichen musikalischen Vergangenheit und der beeindruckenden Operngeschichte sind zahllose Partituren überliefert, in denen sich Singstimme und Mandoline zu einem lebendigen Dialog verbinden. Sie haben die Künstler zu ihrem neuen Album inspiriert. Die Musik darauf stammt von begrabenen, längst vergessenen und jüngst erst wiederentdeckten Meistern wie Tommaso Traetta (1727–1779), Gennaro Manna (1715–1779) oder Francesco Bartolomeo Conti (1681–1732), die es aus anderen musikalischen Epizentren Italiens wie Neapel oder Florenz in die Lagunenstadt zog, um den dortigen Stil kennenzulernen und mitzuprägen.
Zu ihnen gesellen sich gebürtige Venezianer wie Baldassare Galuppi (1706–1785), der nicht nur als Opernkomponist, sondern auch als Kirchenmusiker von sich reden machte, und der einstige Markusdom-Kapellmeister Antonio Lotti (1667–1740), dessen Arie „Lascia che nel suo viso“ aus der Oper „Teofane“ Nuria Rial als ihr Lieblingsstück auf dem neuen Album bezeichnet. Über die Auswahl der Arien verrät sie: „Juan hat mir viele Stücke gezeigt, und ich habe mich für die entschieden, die am besten zu meiner Stimme und meiner Tessitura passen.“
Dass man solche musikgeschichtlichen Preziosen nach so langer Zeit des Dornröschenschlafs nicht einfach auf der Straße findet, versteht sich von selbst. Und da die Oper bereits im 18. Jahrhundert ein internationales Geschäft war, sind viele der weitgereisten Partituren heute gar nicht mehr in den Archiven der Serenissima vorhanden. Juan Carlos Muñoz, der akribische Fahnder und Forscher, musste sich in ganz Europa auf die Suche begeben. „In Wien lagern noch viele Schätze“, sagt er, „aber auch in deutschen Bibliotheken wird man vielerorts fündig.“ Dass ihre gemeinsame Suche nach dieser so speziellen Literatur noch nicht abgeschlossen ist, darüber sind sich die Künstler einig. „Es wird eine Fortsetzung geben.“ Wie und in welcher Form, werden wir sehen.

„Venice’s Fragrance“

Nuria Rial, Artemandoline

dhm/Sony

Wandervogel und Pop-Star

Ihre Geburt erlebte die Mandoline zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Lange Zeit blieb Italien das Zentrum des Lauteninstruments, ab Mitte des 18. Jahrhunderts erfreute es sich aber auch immer mehr in anderen Ländern Europas größerer Beliebtheit, vor allem in Frankreich. Zum „Volksinstrument“ wurde die Mandoline in Deutschland erst im 20. Jahrhundert, vor allem im Zusammenhang mit der Wandervogelbewegung. Von dort aus erlebte sie mit der Folk-Bewegung der 70er-Jahre ein großes Revival und hielt ihren Einzug in die Rock- und Popmusik. Aus vielen traditionellen Musikstilen, besonders in Südamerika, ist sie heute nicht mehr wegzudenken.

Stephan Schwarz-Peters, 04.07.2020, RONDO Ausgabe 3 / 2020



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