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(c) Sander Stuart
Ohne Stühle. Ohne Podest. Ohne Noten. Das wären schon mal drei Alleinstellungsmerkmale der vier Jungs vom vision string quartet. Noch häufiger werden sie darauf angesprochen, dass sie nach der Pause gern Pop-Musik spielen. Dann jedenfalls, wenn man sie lässt; und zwar selbstkomponierte. (Alle vier, auch etwas Besonderes, sind ausgewiesene Komponisten.) Vom käsigen Gelblicht bei Konzertdarbietungen wollen sie gleichfalls nichts wissen. Stattdessen gibt’s eine Light-Show. Und da gern Nebel versprüht wird, wenn’s passt, verstehen wir jetzt auch, weshalb diese Youngsters auswendig spielen müssen. „Wir würden sowieso nichts sehen“, so Bratscher Sander Stuart. Ohne Noten zu spielen hat für die vier in Berlin beheimateten Schüler des Artemis Quartetts noch eine ästhetische Konsequenz. So energetisch festgezurrt nämlich, so laserhaft fokussiert und vektorhaft vorwärtsstrebend, oder schlichter gesagt: So hyperperfekt klang wohl noch kein Streichquartett! Was kurioserweise Kennzeichen impliziert, wie sie in früherer Zeit idealtypisch bei einem Musiker eingelöst waren, den man heute häufig für leicht passé hält: Der polierte Prunk des vision string quartets ähnelt gewisser Weise dem fortschrittlichen, technoiden und alten Herbert von Karajan. „Karajans Beethoven-Sinfonien habe ich immer super gefunden“, sagt Geiger Daniel Stoll. „Auch seinen Brahms habe ich rauf und runter gehört“, sekundiert Cellist Leonard Disselhorst. „Wenn man häufig in großen Sälen spielt, muss man gut projizieren“, ergänzt Sander Stuart hinsichtlich der Klang-Pracht des Quartetts. Erstaunlich, dass so scheinbar abgelebte Eigenschaften der alten Zeit wieder technisch zu Ehren kommen. „Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen“, lautet ein berühmtes (nach eigener Aussage „pampiges“) Wort von Helmut Schmidt. „Unsere Impfungen sind teilweise veraltet“, replizieren die Mitglieder des vision string quartets. „Leo hat die Masern nach Deutschland zurückgeholt“, scherzt Stoll – und das am selben Tag, wo das Quartett mit diversen Absagen ob der allgemeinen Gesundheitslage zu kämpfen hat. Die lässigen Launen lassen sich diese vier Visionäre nicht austreiben. Ihr Vorsatz ist es, das Publikum zu verjüngen und auch Leuten, die mit Klassik nichts am Hut haben, die Vorzüge dieser Musik zu zeigen. „60 minus ist unser Ziel“, lachen sie. Obwohl Streichquartette dazu neigen, nicht ewig zu halten, haben die vier jungen Männer voreinander keine Angst. „Wir erlauben uns keine Mucken anderswo, sind finanziell vollständig voneinander abhängig und verbringen sogar noch die Freizeit gemeinsam“, so Leonard Disselhorst. „Dazu zählen: Tischtennis-Tourniere, Kekse-Essen und Kino.“ Der beste Film, der je gedreht worden ist, sei „Memento“ von Christopher Nolan. Dass ihre Debüt-CD mit Schuberts Streichquartett Nr. 14 „Der Tod und das Mädchen“ und Mendelssohns Nr. 6 den haargenau selben Titel trägt („Memento“), sei dennoch Zufall. „Beide Komponisten haben diese Werke nur kurz überlebt“, so Stoll. Für diese fantastischen Vier dürften sie hingegen einen Kickstart bedeuten.
Robert Fraunholzer, 28.03.2020, RONDO Ausgabe 2 / 2020
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