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(c) Michael Novak
Ein intensives Leben. Viel Leid. Bei Schubert ist die Motivation gleichzeitig Kompensation für unerfüllte Liebe und tragische Umstände.“ So bringt es der Bariton Matthias Goerne, einer der Lordsiegelbewahrer heutiger Liedkunst, auf den Interpretationspunkt, was dem Künstler durch den Kopf geht, gehen muss, besonders wenn er sich mit der „Winterreise“ beschäftigt.
Der Jüngste im Schubert-Bund: Xavier Sabata, er hat die doppelte Herausforderung als Katalane wie als Countertenor gern angenommen. „Die Winterreise habe ich erstmals als Elfjähriger in Barcelona gehört, übrigens in der übermalten Orchesterversion Hans Zenders, der gerade gestorben ist“, erinnert sich der Sänger. „Doch so kommt meine Aufnahme zur rechten Zeit, sie ist ein wenig ein Requiem, aber auch ein Aufbruch, für mich und für die Vertreter meines Stimmfachs, keine Scheu vor dem Lied zu haben.“
Er selbst fand Lied immer toll. „Ich habe dann nach meinem Erweckungserlebnis viel Fischer-Dieskau gehört, aber immer ein waches Ohr gehabt für alle anderen Stimmfächer. Jochen Kowalskis Interpretation des Schubert- Zyklus begeistert mich immer noch, sie kommt sehr aus dem Klang, ist auch eine Hommage an die von ihm so verehrte Lotte Lehmann. Ich habe mit ihm viel darüber geredet, als wir letztes Jahr gemeinsam in Berlin in Monteverdis ‚Poppea‘ aufgetreten sind.“
Mit Francisco Poyato, dem Pianisten seiner aktuellen Aufnahme, hat er schon früh an Liederinterpretationen gearbeitet, später hat sich Xavier Sabata bei Hartmut Höll und Mitsuko Shirai an der Musikhochschule Karlsruhe intensiv mit dem Repertoire auseinandergesetzt: „Ich habe ja zunächst Schauspiel studiert, fand Lied schon deshalb immer besonders interessant. Anders als in der Oper steht nicht so sehr der Klang und die Melodie im Vordergrund, sondern das Wort, die Erzählhaltung. Ich habe viele Lieder also nur zum Üben gesungen, um meine Opernarbeit zu optimieren. Aber längst gehe ich damit auch in die Öffentlichkeit.“
Die Reaktion darauf sei eigentlich auch immer gut, findet Sabata. So ist diese Aufnahme, ein paar Auftritte sind ihr vorausgegangen, der logische und richtige Schritt. „Das Publikum ist offen geworden, und ich frage mich eigentlich immer noch: Wer singt diesen Zyklus, wer ist das lyrische Ich? Wenn man mich zunächst hört, dann hat es für manche vielleicht etwas Geisterhaftes, das Irrlicht des Endes scheint auf. Aber dann ist es einfach nur eine universelle Erzählung und Zustandsbeschreibung.“
Einsamkeit, Schneewüste, gefrorene Tränen, eine rostige Wetterfahne, der Lindenbaum. Schließlich der Leiermann als finales Todessymbol. Seltsamerweise sind diese poetischen Chiffren der Romantik den Kindern von Internet, iPod und WhatsApp vertraut. Mögen Liederabende gestern wie heute einen Kreis von Kennern anziehen, Schuberts „Winterreise“ dient weiter als Stimmungssurrogat. Ihre Wirkung ist die gleiche wie im 19. Jahrhundert: Musik hilft, sich selbst zu spiegeln. Und diesmal eben mit einem Countertenor!
Berlin Classics/Edel
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