Startseite · Interview · Blind gehört
(c) Jiyang Chen
Er erkennt die Tenöre der goldenen Ära auf Anhieb – und fordert Weichheit statt mehr Testosteron. Als Don José in „Carmen“ sorgte Michael Fabiano beim Festival von Aix-en-Provence für eine (auch im Fernsehen nachzuvollziehende) Sensation. Als „Rigoletto“-Herzog in Berlin wiederum spaltete er das Publikum. Tenor Michael Fabiano (35) erkennt sämtliche Sänger der Vergangenheit nach einer, höchstens drei Sekunden. Bei Dirigenten bittet er, erst die Blechbläser hören zu dürfen. Trifft dann wieder. Auf seinem Arien-Recital bei Pentatone zieht er sämtliche Register tenoraler Betörungs-, gern auch Überrumpelungs-Politik. Meist pendelt der Amerikaner zwischen den großen Opernhäusern von London, Madrid, Paris und New York. Im März singt Michael Fabiano den Don José an der Berliner Staatsoper.
Die Aufnahme kenne ich doch. Das klingt im Ernst wie die Staatskapelle Dresden! Es sind die Streicher und die Bläser, die mir so vertraut vorkommen. Und schon erwarte ich meinen Lehrer: Neil Shicoff. Richtig?! – Zur damaligen Zeit, also Ende der 80er Jahre, klang Shicoff gleichsam wie halb Domingo, halb Carreras. Sehr reich im Klang. Mit einem Tornado drinnen. Er war ein Sänger, der es hörbar nicht lassen konnte. Das begeisterte. Neil hatte möglicherweise leichte Schwächen bei der sogenannten voix mixte. Also in der ‚Mitte’ der Stimme – im Übergang zwischen Sprech- und Kopfstimme. Dies, eine gemischte Stimme, ist genau das, was ich meinerseits bevorzuge. Shicoff war übrigens nicht mein einziger Lehrer. Wichtiger noch war der amerikanische Tenor George Shirley.
DG
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Franco! Wegen der Mittellage wiederum nicht zu verfehlen. Außerdem erkennt man die Bronze-Farbe, die nur er besaß. Und: den Wirbelwind, den auch er in der Stimme hatte. Bei Corelli hat man den Eindruck, dass er sagen will: Ich bin der Beste. Und das, obwohl er doch ein so nervöser, von Lampenfieber geplagter Mann war. Ich bin geradezu benommen, wenn ich ihn höre, und fühle mich wie eingewickelt. Nicht groß, sondern grand! Leider habe ich Franco Corelli, obwohl er mein Idol war wie das von so vielen anderen Tenören, niemals live erlebt. Ein sehr guter Mann. Ich frage mich, wie ein Sänger so maskulin klingen und mir gleichzeitig ein solches Wohlgefühl vermitteln kann. Na ja, jetzt haben Sie wahrscheinlich was über mich herausgehört, was ich eigentlich gar nicht sagen wollte.
Warner
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Renée Fleming. Und man erkennt es, wenn nicht am Timbre, so doch am Legato und an den kleinen ‚Rutschpartien’, die es bei ihr manchmal zwischen den Tönen gibt. Fast ein Markenzeichen. Ich sang mit ihr in den USA. Gleich zwei Dinge habe ich von ihr gelernt. Bei „Otello“ mochte ich ihre Stimme zuerst nicht sonderlich, bemerkte aber, dass nach dem Gebet der Desdemona Besucher unter Tränen den Saal verließen. Später sagte sie mir: „Du musst versuchen, für die Leute in der letzten Reihe zu singen“. Da hatte sie Recht! Das Zweite war das Folgende. Bei „Lucrezia Borgia“ erklärte sie mir: „Je mehr ich mich öffne, desto kleiner werde ich mit der Stimme.“ Ich verstand sie erst nicht. Doch die Beschreibung stimmt genau! So lernt man, die Intensität einer Arie optimal zu gestalten. Erst aufmachen, und dann nicht zu viel geben.
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Noch ein Held von mir: Aureliano Pertile! Er ist heute nicht mehr sonderlich bekannt, war aber ein von Toscanini absolut bevorzugter Sänger. Zu Recht! Ihn erkennt man … am Ton f. Genauer gesagt, am etwas eng klingenden Übergang zwischen der Brust- und Kopfstimme. Wenn er hoch geht, bleibt er indes ganz offen. Die menschliche Stimme ist ja normalerweise wie ein Stundenglas – mit enger Taille zwischen oben und unten. Das liegt an der Beschaffenheit des Kehlkopfes, aber damit wollen wir uns hier vielleicht lieber nicht genauer beschäftigen. Ein Tenor wie Giacomo Lauri-Volpi, den ich gleichfalls verehre, besaß vielleicht eine bessere Technik als Pertile. Dieser aber hatte das schönere Vibrato. Leider kein ganz verlässliches hohes C. What the heck …!
Na also, das hier ist Richard Tucker. Sein Italienisch war ziemlich schlecht, ich liebe ihn trotzdem. Ein magischer Sänger! Absolutely fabulous. In Verdis „La forza del destino“ war keiner, ich wiederhole: keiner besser als er. Und er hat die Rolle sowohl neben Maria Callas als auch neben Leontyne Price aufgenommen. Tucker entstammte einer jüdischen Kantoren-Tradition. Auch Neil Shicoff könnte man in sie einordnen, und ebenso zum Beispiel den großartigen deutschen Tenor Joseph Schmidt. Kantoren in der Synagoge lernen, wie man effektiv mit der Stimme ‚nach vorne’ geht. Man kann gewisse, verbindende Eigenschaften sogar heraushören. Richard Tucker, vielleicht ein extremes Beispiel, sang immer, als wenn er in einen Apfel beißt. Ein guter Klang. Ein sehr verlässlicher Klang.
Sony
Und damit wären wir fast komplett, was meine großen Vorbilder anbetrifft. Das ist der italienische Tenor Mario del Monaco. Er hat die Arie später auch auf Italienisch gesungen, womit er zweifellos besser beraten war. Del Monaco singt manchmal eine Spur neben dem Ton, was mich nicht im Geringsten stört. Der Sound stimmt schlicht und ergreifend. Dieser Sänger klingt heroisch, überaus maskulin. Er hat allerdings nicht die Finesse eines Corelli, wie ich zugeben würde. Männlichkeit beim Tenor ist ja eine schöne Sache, und ich bin selber vermutlich nicht ganz frei davon, maskulin klingen zu wollen. Das kann aber auch im Wege stehen, und dies war gelegentlich das Problem beim testosteronsatten Mario del Monaco. Er hat es beinahe übertrieben mit der Virilität seines Gesangs. Daraus folgt dann: mehr Softness, bitte! Oder anders gesagt: eine Spur mehr von Benjamino Gigli, wenn es möglich wäre …
Fono Enterprise
Einen Augenblick, bitte! Ich möchte noch das Blech hören. Ich bemerke da eine gewisse Freiheit in den Streichern. Es kann also wohl nicht Riccardo Muti sein. Das Tempo neigt zum Langsamen, es könnte sich also um James Levine handeln. Giulini und Abbado haben das Stück, glaube ich, nicht aufgenommen. Ich tippe auf: Riccardo Chailly. Mit ihm habe ich auch schon gesungen. Und zwar bei meinem Debüt an der Mailänder Scala. Als Rinuccio in Puccinis „Gianni Schicchi“. Wir kamen, um ehrlich zu sein, nicht übermäßig gut miteinander aus. Ich glaube, dass Chailly als Opern-Dirigent mehr am Klang eines Orchesters interessiert war. Das war mein Problem mit ihm. Ein großer Dirigent, kein Zweifel. Aber kein ganz optimaler Sängerdirigent.
Decca
Wow! Das klingt großartig. Es könnte vielleicht der amerikanische Bass Jerome Hines sein … – Was, Leonard Warren?! Gleichfalls einer meiner Favoriten, aber ich hätte ihn nicht erkannt. Klar, dass er für heutige Sänger ein wenig altmodisch daherkommt. Man singt heutzutage mehr ‚in der Maske’, das bedeutet: weniger mit der ganzen Physis so wie bei Warren. Er hat eine echte Körper-Stimme. Eine Body-Voice. Sehr schön das Appoggiato, also die Bindung zwischen den einzelnen Tönen. Die Lungen, das merkt man bei ihm, müssen bis zu den Füßen reichen. Man findet das auch bei Ezio Pinza. All diese alten Sänger tun, was wir heute auch mehr tun sollten: die Musik genießen. Und uns mehr Freiheiten in der Gestaltung gönnen! Wir alle sind meistenteils zu dogmatisch. Das Atmen, das Gleiten mit der Stimme, der ganze Gebrauch unseres Instruments ist viel zu sehr auf Linearität getrimmt. Und wird dadurch eindimensional. Mit Portamenti wie hier bei Warren würden heutige Sänger nicht mehr durchkommen. Ich würde gekreuzigt werden, wenn ich so sänge. Es geschah aber damals, um freier zu werden. Das richtige Ziel.
Pentatone/Naxos
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Robert Fraunholzer, 14.12.2019, RONDO Ausgabe 6 / 2019
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