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Und immer wieder das eine große Rätsel – wie ist es möglich, dass ein nahezu unbekannter Londoner Hochschuldozent südafrikanischer Abstammung ein Niveau musikalischer Bewusstheit und Detaildurchdringung erreicht, das nahezu alles in den Schatten stellt, was zum Thema Mozartscher Klaviersonaten jemals gesagt wurde?
Schon die Frage wäre Daniel-Ben Pienaar etwas zu pathetisch. »Als ich Student war, vor vierzehn Jahren, habe ich als Pianist in einem Hotel gearbeitet. Einen Tag habe ich mir den Band mit den Mozartsonaten hingehingestellt und sie alle nacheinander gespielt.« So war der erste Kontakt kaum mehr als spielerische Erkundung ohne tiefere Absichten. Die Werke aber, von denen er glaubt, selbst die meisten Mozartverehrer würden sie nicht recht mögen, ließen ihn nicht mehr los. Da spürte er Raum für eine Korrektur eines allzu behaglichen, glatten Bildes: »Vergleichen sie einmal Mendelssohn und Mozart im Alter von 16. Mendelssohn ist der Gewinner, stimmt’s? Da ist etwas Vollendetes. Bei Mozart aber ist das Ausmaß der Dinge, die sich in seinem Geist entwickelten, so unermesslich, dass nicht alles aufpoliert ist.« Er spielte seinen so provozierend »anders« klingenden Zyklus im Jahr 2000 an der Royal Academy und an der Universität Oxford und er kommentierte ihn auch.
Das Wort, gesprochen und geschrieben mit einer geradezu literarischen Beredsamkeit, begleitet Pienaars Musizieren von Anbeginn. Doch was sich musikalisch in diesem Klavierspiel ereignet, entzieht sich der Sprache in seiner gelegentlich fast unerträglichen Intensität – und die erwartet man kaum in Mozarts Sonaten, die vielen bloße Nebenwerke sind. »Es ist paradox – auf der eines Seite diese große Ökonomie der Klangsprache und ihre unbeschreibliche Schönheit, und auf der andere Seite diese ungeheure, fast unerträgliche Anspannung, nahezu existentiell. Es gibt Momente, wo die Dinge zu kollabieren scheinen.« Pienaar macht aus der oft als »fast schon Beethoven« abklassifizierten c-Moll-Sonate so ein soghaft kollabierendes Szenario. Und wie er von sich selbst sagt, er könne diese Musik nicht zurückgelehnt hören, so geht es uns bei ihm auch. Pienaar fasst die expressiven Extreme nicht nur bei Mozart in den Blick. Jene unerhörte Spannung charakterisiert auch die ersten beiden Chopinballaden, zerrissen zwischen fahlem Lyrismus und hysterischem Überschwang. Man kann diese Grenzgänge, die Lichtjahre entfernt sind von gesuchter Originalität, auf seiner Homepage anhören. Pienaar scheint diese Kräfte aus der Reibung am Überkommenen, allzu Gewohnten zu generieren. »Mir gefällt die Idee, dass das Stück zu einer Art Bühne wird, auf der man sich durch seine kompositorischen Probleme arbeitet.«
Wer diese Bühne betritt, entzieht sich dem Massengeschmack, dem »generalisierten Stil«, wie Pienaar ihn nennt. Kein Wettbewerbsbetrieb, keine dominierende Lehrerpersönlichkeit, kein »Markt« hat diesen Pianisten produziert. Mit einer kaum zu fassenden Freiheit geht er seinen höchst originellen Weg durch das Repertoire, als folge er einer Partitur durch ungezählte Schichten ihres Aufführungslebens und nähre sich an den Spannungen und Brüchen historischen Wandels: »Ich brauche die direkte Konfrontation mit der pianistischen Vergangenheit und das kanonische Repertoire, in dem man gleichsam seine Kollegen interpretieren kann. Und wenn sich ein völliger Widerspruch auftut zu dem, was andere Spieler machen, habe ich Raum und merke, hier gibt es etwas zu tun. So war das bei Mozart, so ist das bei Schubert.« Dessen zehn vollendete Sonaten, das ist das nächste große Projekt.
Erst einmal aber erscheinen die »Goldberg-Variationen«. »Ich erwarte nicht, dass die Leute sie so lieben werden wie den Mozart. Sie sind besessen von diesem Werk und haben sehr viel engere Vorstellungen, wie es zu klingen habe.« Sicher ist, es wird wieder ein »Gesamtkunstwerk«. Pienaar benutzt das deutsche Wort. Der Produzent ist ein Freund, Pienaar selbst schneidet – »sündhaft teure Software habe ich mir da geleistet«. Seine Booklettexte, brillante Essays allesamt, schreibt er selbst, die künstlerische Gestaltung schließlich besorgt eine gute Freundin. »Bei welchem großen Label hätte ich diese Freiheiten?« Ist das der Künstler der Zukunft?
Matthias Kornemann, 30.11.1999, RONDO Ausgabe 5 / 2011
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