Bei allem Jubel über den Siegeszug der Barockoper – auf DVD hat sich die Wiederentdeckung des musiktheatralischen Schaffens von Händel, Vivaldi und Co bislang kaum niedergeschlagen. Während es sich offenbar lohnt, eine »Carmen« nach der anderen auf den Markt zu werfen, sind viele Spitzenwerke der Vor-Mozartzeit oft nur in einer Aufnahme erhältlich. Dass das bislang auch bei Händels »Alcina « der Fall war, erstaunt aber doch: Denn erstens ist das Stück um die »Fatal attraction « zwischen Zauberin und Rittersmann inzwischen die beliebteste Händel-Oper und zweitens gab es in den letzten Jahren einige prominent besetzte Inszenierungen, die durchaus filmtauglich gewesen wären – Robert Carsens Pariser Version mit Renée Fleming oder auch Christoph Loys Münchner »Alcina« mit Anja Harteros und Vesselina Kasarova. Im November 2010 fasste sich Arthaus dann doch ein Herz und war bei der Erstaufführung (!) der »Alcina« der Wiener Staatsoper mit dabei. Wiederum mit dem gefeierten Dream Team Harteros/Kasarova, das an diesem Abend nicht nur in blendender Form war, sondern auch akustisch besser eingefangen ist als auf dem bei Farao erschienenen Münchner CD-Mitschnitt. Musikalisch war die von Marc Minkowski geleitete Aufführung ein großer Abend, was auf der Bühne zu sehen ist, überzeugt dagegen weniger: Die Idee des Regisseurs Adrian Noble, die Geschichte als Laienspielabend im Haus einer britischen Aristokratin der Händel-Zeit zu erzählen, bürgt vor allem für dekorative Kostüme, die DVD-Konkurrenz, Jossi Wielers Stuttgarter Version, ist da eindeutig spannender.
Aber wie gesagt: Zwischen zwei DVD-Alternativen wählen zu können, ist ein Luxus, den man nur bei den wenigsten Opern vor Mozart hat. Seien wir also froh, dass Arthaus Claus Guths maßstäbliche Produktion von Glucks »Iphigénie en Tauride« noch einmal neu herausgebracht hat, statt sie einfach aus dem Katalog zu streichen. Und murren wir nicht darüber, dass 2001 im Zürcher Opernhaus nur die second-best-Variante festgehalten wurde und die junge Juliette Galstian nicht ganz an Susan Graham heranreicht, die diese Rolle in der gleichen Inszenierung im Jahr zuvor in Salzburg gesungen hatte. Empfehlenswert ist die von William Christie geleitete Produktion natürlich trotzdem, und Guths Idee, den Fluch der Atriden-Familie durch Darsteller mit riesigen Pappmaché-Köpfen auf der Bühne zu vergegenwärtigen, wirkt auch auf dem Bildschirm ohne allzu große Einbußen.
Vollends mau sieht die DVD-Auswahl bei Antonio Vivaldi aus: Während auf CD mittlerweile fast das ganze musiktheatralische Oeuvre des Venezianers verfügbar ist, beschränkte sich das DVD-Repertoire bislang auf ganze zwei Titel. Das ist umso bedauerlicher, als Vivaldis Opern wegen ihrer packenden Rezitative von einer Verfilmung besonders profitieren könnten – wie die DVD des »Motezuma« eindrücklich zeigt. Denn die von Alessandro Ciccolini vervollständigte Version des 2002 im Archiv der Berliner Singakademie wieder gefundenen Werks war unter der Leitung von Alan Curtis schon länger auf CD erhältlich. Der Mitschnitt aus dem Theater von Ferrara ist allerdings ungleich packender geraten: Erstaunlich, wie der auf CD oft allzu gepflegte Curtis-Stil in der staubtrockenen Theaterakustik an Furor und Tiefe gewinnt, verblüffend, um wie viel expressiver die virtuosen Arien Vivaldis wirken, wenn man sie im Gesamtzusammenhang der dramatischen Handlung erlebt. Sparsam, aber konzentriert in Szene gesetzt und mit einem ebenso spiel- wie charakterstarken Ensemble besetzt, brennt bei dieser Vivaldi-Oper die Luft.
Ein solches Glück war Johann Simon Mayrs »Medea in Corinto« leider nicht vergönnt. Die Wiederaufführung der wichtigsten Oper des 1763 geborenen Donizetti-Lehrers im Rahmen der Münchener Opernfestspiele 2010 war zwar mit dem etwas unbeteiligt wirkenden Ramon Vargas und der stilistisch unbekümmerten Nadja Michael prominent besetzt, doch hätte das Stück vermutlich von einer Aufführung in einem kleinen, akustisch trockenen Theater mit aufgerautem Originalklang- Orchester mehr profitiert. Unter der jovialen Stabführung von Ivor Bolton klingt Mayrs Musik jedenfalls herzlich bieder und die Versuche von Hans Neuenfels, auf der Szene mit blutigen Opferfesten und Metzeleien gegenzusteuern, machen eher noch stärker bewusst, dass Mayrs dramatischer Wagemut eben doch nicht an seinen Konkurrenten Rossini heranreichte.
Jörg Königsdorf, 30.11.1999, RONDO Ausgabe 6 / 2011
Familien-Unternehmen
Dieses junge Quartett ist die Kammermusik-Formation der Stunde. Mit großartiger CD und Mut zur […]
zum Artikel
„Da schließt sich ein Kreis“
Die Händel-Festspiele Halle feiern ihren 100. Geburtstag gebührend mit prallvollem Programm und […]
zum Artikel
Exzess mit Understatement
Nicht Anleihen an Mahler oder Bruckner, sondern nur den Komponisten selbst will Hrůša bei Hans […]
zum Artikel