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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



Startseite · Interview · Blind gehört

(c) Stephane Gallois

Blind gehört

Lise de la Salle: „Der Mann kann lächeln mit der Geige“

Lise de la Salle, geboren 1988 in Cherbourg, begann mit vier Jahren Klavier zu spielen. Ausgebildet in Paris bei Bruno Rigutto (einem Schüler von Samson François) sowie in New York bei Pascal Nemirovski, debütierte sie mit neun Jahren. Sie zählt heute zu den bekanntesten Pianisten ihres Landes – besonders als Interpretin Schumanns, Liszts und Bachs. Erst kürzlich wechselte sie vom Label Naïve zu Sony Classical. Nach Jahren in New York lebt Lise de la Salle heute wieder in Paris. Beim Blindtest in der RONDO-Redaktion erkannte Lise de la Salle wenige Kollegen, und auch sich selbst nicht. Zunächst.

Ein Altmeister, würde ich denken. Nicht Glenn Gould. Aber doch gut, weil stark und sehr engagiert. So mag ich das. Man hört Persönlichkeit und Temperament. Auch ist hier alles dynamisch sehr differenziert. Meine erste Annahme war, es sei vielleicht Swjatoslaw Richter, aber der ist es doch nicht. Er wäre noch extremer. Hier ist mehr Maß am Werk. Vielleicht Wilhelm Kempff? Ja, Kempff könnte es sein. – Wie bitte?! Vladimir Horowitz. Hopsa, da habe ich was gelernt. Gar nicht altmodisch jedenfalls. Wie frisch das klingt!

Johann Sebastian Bach

Toccata BWV 911

Vladimir Horowitz

RCA/Sony

Auch keiner, der noch lebt. So würde heute, muss ich zugeben, niemand mehr spielen. Wir alle, auch ich, arbeiten heute nicht mehr so sehr vom Klang her. Ich vielleicht schon, würde ich andererseits sagen. Aber grundsätzlich wird derlei heute zu sehr vernachlässigt. Hier hört man sehr viele Farben und eine große interpretatorische Intensität. Ein Mann, oder? Ich denke, das könnte vielleicht Alexis Weissenberg sein. Ich dachte auch schon wieder an Glenn Gould. Nur der hat nie Richard Strauss gespielt. Oder?! – Heißa. Jetzt sitze ich in der Tinte.

Richard Strauss

Sonate op. 5

Glenn Gould

Sony

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Da spielt jemand auf der raschen Seite. Vielleicht sogar etwas zu schnell? Ja. Viele Rubati, man hört das heute meist gerader, distinguierter auch. Das könnte eine Frau sein. Bloß: warum? Mir sagen viele Leute immer, ich spiele wie ein Mann. Gemeint ist wohl, dass ich mit Kraft und großem Klang einherkomme. Und ohne ‚Chichi’. Wichtiger scheint mir, dass alles eine Klarheit haben muss und einen Fluss. Merkt man daran, dass ich aus Frankreich stamme? Also, dies ist nicht Clara Haskil, die kenne ich. – Lili Kraus? Die kenne ich nicht. Aber ich höre doch, dass man sie vielleicht kennen sollte.

Wolfgang Amadeus Mozart

Klavierkonzert Nr. 20 d-Moll KV 466

Lili Kraus, Vienna Festival Orchestra, Stephen Simon

Sony

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Ist das Elisabeth Schwarzkopf? Nein?! Nun, dann müsste es Gundula Janowitz sein. Die Stimme der Schwarzkopf, stimmt wohl, ist noch diamantener. Hier hört man mehr Körper. Ich mag beide Stimmen wahnsinnig gern. Bei der Janowitz die Klarheit! Ihre „Vier letzten Lieder“ von Richard Strauss, dirigiert von Herbert von Karajan, sind die Besten überhaupt. Auch Mozart-Opern und Schubert-Lieder wie hier hat Janowitz großartig gesungen. Da habe ich immer das Gefühl: Du bist an der richtigen Adresse.

Franz Schubert

Das Mädchen D. 652

Gundula Janowitz, Irwin Gage

DG/Universal

Das ist eine französische Pianistin. Eine wahrhaft alte Aufnahme, aber von sehr guter Qualität. Komischerweise bin ich mir sicher, dass es eine Frau ist. Also sollte es wohl die legendäre Marguerite Long sein. Es gibt viel von ihr auf YouTube. Voller Leben, so würde ich ihre Aufnahmen beschreiben. Wirklich ein Charakter! Hier passt das gut, sie ist elegant und sehr direkt. Gabriel Fauré war ja sehr romantisch, das trifft sie super. Ohne ins Klischee zu verfallen. Warum eine Frau? Tja. Großer Klang! Wie ein Mann eben ... Eine andere Favoritin von mir ist die ungarische Pianistin Annie Fischer, zum Beispiel mit dem 3. Klavierkonzert von Beethoven und dem Schumann- Konzert. Sie merken, ich bevorzuge alte Aufnahmen. Nicht neue.

Gabriel Fauré

Ballade op. 19

Marguerite Long

Cascavelle

Das singt. Und mit welchem Charme! Da hört man unglaubliches Talent, große Eleganz, großen Klang. Und zwar selbst dann, wenn man es mit heutigen Standards vergleicht. Der Mann kann lächeln mit der Geige. Wenn es nicht Jascha Heifetz sein sollte, dann muss es eben Fritz Kreisler sein. Das fängt an zu tanzen! Klingt, als erzähle er einen Witz. Wie macht man das? Man muss sich viel zutrauen und ebenso seinem Instrument. Technische Probleme darf man nicht kennen. Wie im Zirkus! Ein Pianist, der das auch beherrschte, war György Cziffra. Toll.

Fritz Kreisler

Warner

Fritz Kreisler

Caprice viennois

Eine digitale Aufnahme. Heute würde es trotzdem anders klingen, denn wir können mittlerweile sozusagen mehr Luft einfangen. Ich mag’s. Ist der Pianist tot? Das hat Charakter, die Phrasen sind gut durchgeformt. Es ist nicht zu technisch. Ein Russe? Oder ein Asiate?! Zu jung für mich, wahrscheinlich, die Aufnahme kann ich noch nicht kennen. Mir fehlt an aktuellen Einspielungen meist die Magie. Das hier ist eine sehr gute Aufnahme, aber nicht persönlichkeitsreich genug, als dass ich es erkennen könnte. Das Problem ist: Heute spielen die Pianisten alle ziemlich gleich. Eine Weile habe ich die CDs selbst dafür verantwortlich gemacht. Es liegt sicherlich auch daran, dass Individualität und das Eingehen von Risiken nicht mehr genug geschätzt und nicht ermutigt werden. Also, wer mag das sein. Keine Ahnung. – Was, ich?!! ... Na gottseidank habe ich es nicht völlig runtergemacht.

Franz Liszt

„Après une lecture du Dante“

Lise de la Salle

Naïve/Indigo

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Oh, großartig! Ich schmelze dahin. Wie das atmet! Das gefällt mir sehr. Übrigens ist das natürlich auch ein ganz wunderbares Stück. Sehr auffällig hier: der sehr volle Klang. Es ist zu dunkel, als dass es Maurizio Pollini sein könnte. Ich würde sagen, das ist Radu Lupu. Er besitzt alles, was ich mag: Farbenvielfalt, Reichtum des Klangs, Musikalität. Und die Musik fließt. Man braucht für Schumann immer auch einen Schuss Verrücktheit, Zartheit, Humor. Und ein großes Herz. Das kann einen schon überfordern und durcheinanderbringen. Es ist einfach sehr viel Arbeit. Und nun hören wir erstaunt, wie schlicht, natürlich und beherzt es bei Radu Lupu klingt. Er ist wahrlich ein großer Künstler.

Robert Schumann

Humoreske op. 20

Radu Lupu

Decca

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Robert Fraunholzer, 21.09.2019, RONDO Ausgabe 4 / 2019



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