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N° 1353
13. - 21.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Titanenlocke: Beethovens Haarpracht unter dem Hammer (c) Sotheby's London

Pasticcio

Schnipp-Schnapp

Wenn in den 1840er Jahren Damen aus gutem Hause plötzlich außer Rand und Band waren, ahnte man: Franz Liszt ist in der Stadt. Plötzlich benahmen sich Gräfinnen wie kreischende Teenager. Und auf der Jagd nach einem persönlichen Fanartikel kannten sie keine Grenzen und Hemmungen. Mal goss man sich in ein Flacon ein paar Tropfen aus einer Teetasse, aus der Liszt genippt hatte. Oder man sicherte sich eine von ihm weggeworfene Zigarette, die dann laut eines Zeitzeugens „trotz mehrmaligen Erbrechens mit einem eingebildeten Entzücken weitergeraucht“ wurde. Das vielleicht beliebteste Souvenir von Superstar Liszt war aber entweder ein Kuss von ihm – oder eine Locke! Nun wird die männliche Haarpracht in den Jahren und Jahrzehnten allein schon von Natur aus spärlicher. Wäre Liszt aber nun all den Wünschen seiner Verehrerinnen nachgekommen, wäre er schnell kahl gewesen. Und so soll er sich doch glatt einen Hund zugelegt haben, dessen Fell fortan als Lockenlieferant fungierte.
Vielleicht stand für Liszts clevere Idee ein kleiner Schabernack Pate, mit dem einst sein Riesenidol Beethoven eine Bewunderin aufs Kreuz legte. Auf die Bitte des befreundeten Komponisten und Pianisten Anton Halm, doch der Gattin Maria eine Locke seiner Haarpracht zu schenken, schickte Beethoven ihr zwar einen kleinen Haarbüschel. Doch dieser stammte nicht etwa von ihm, sondern von einer Ziege! Näheres über den Fortgang dieser kleinen Betrügerei verdanken wir zum Glück Anton Halm: „Mittlerweile hatte Carl Groß, ein geschickter Dilettant auf dem Violoncell, mir gesagt, mit Achselschupfen: ‚Wer weiss ob das Haar ächt ist?‘, und doch hatte ich keinen Verdacht. Nachdem dieses Arrangement fertig war [Halm hatte Beethovens Große Fuge für zwei Klaviere eingerichtet], brachte ich dasselbe zu B[eethoven]... Wie ich weg gehen wollte, trat er mit einem furchtbaren Ernst im Gesicht mir entgegen mit den Worten: ‚Sie sind mit der Haarlocke betrogen! Sehen Sie, mit solchen furchtbaren Creaturen bin ich umgeben, dass sie alle Achtung, die sie respectablen Menschen schuldig sind, auf die Seite setzen. Sie haben Haare von einer Geiß.‘“ Mit keinem Wort schien Beethoven gegenüber Halm zugeben zu wollen, dass er wohl der „unerhörte“ Scherzbold gewesen ist. Zur Entschädigung packte er seinem Freund eine vor dessen Augen abgeschnittene Locke in Papier ein. Und dieses wohl vom hinteren Schädel Beethovens stammende Haarbüschelchen ist jetzt in London bei Sotheby´s unter den Hammer gekommen. Die für 12.000 Pfund (rund 13.500 Euro) aufgerufene Locke wechselte schlussendlich für stolze 35.000 Pfund (rund 39.000 Euro) den Besitzer. Nicht überliefert ist aber, ob vor der Auktion nicht doch noch einige Labortests gemacht worden sind, um die Authentizität zu garantieren. Schließlich wäre es ja ziemlich peinlich, wenn sich herausstellen sollte, dass sich hinter dem Glasrahmen kein echter Beethoven, sondern abermals ein Reliquiar von einem anderen Zwei- oder gar von einem Vierbeiner stammt.

Guido Fischer



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