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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Die Wiener Staatsoper kann ohne weiteres als eines der sieben Musik-Weltwunder gelten – und feiert zum 150-jährigen Bestehen (c) pixabay

Pasticcio

Österreichs Mittelpunkt der Welt

Ein Weltwunder, was sonst? Die Wiener Staatsoper ist das einzige Haus seiner Art, das klammheimlich ‚von hinten’ bzw. ‚von unten’ regiert wird. Die sogenannten „Stehplatzler“, Inhaber der billigsten Plätze, bilden einen hochrespektierten Machtfaktor und werden vom Intendanten des Hauses regelmäßig hofiert. Probleme in der Wiener Opern-Chefetage sind auch heute noch gleichbedeutend mit einer Staatskrise. Der alljährliche Opernball, von Kennern gemieden, spielt nicht nur scheinbar, sondern tatsächlich eine Schlüssel-Rolle im gesellschaftlichen Leben der Alpenrepublik.
Das alles gibt es nirgendwo sonst auf der Welt. Auch dass die „Aus“-Schilder für fehlende Restkarten eigentlich niemals deaktiviert werden müssen – so beneidenswert sind die Zahlen –, findet man an keinem anderen festen Theater. Es liegt nicht einmal daran, dass die Wiener Staatsoper eine so ausgeprägte Touristenbude wäre. Nein, hängt nur an ihrer unersetzlichen Bedeutung als ...: Österreich-Mittelpunkt der Welt.
Dabei ist die musikhistorische Bedeutung des vor 150 Jahren eingeweihten Gebäudes eigentlich begrenzt. Die wichtigen Wiener Opern-Uraufführungen fanden nicht hier, sondern im Burgtheater („Entführung aus dem Serail“), auf der Wieden („Zauberflöte“) oder im Theater an der Wien statt („Fidelio“). Ausnahme (eine von wenigen): Richard Strauss’ „Frau ohne Schatten“, welche deswegen zum Jahrestag neuinszeniert – und von Christian Thielemann erstmals in Wien dirigiert wird (obwohl man dafür eine sehr schöne Inszenierung von Robert Carsen wegschmeißen musste).
Zahllose Skandale hat man vorzuweisen. Gleich die Einweihung 1869 sorgte für Aufruhr. Der breite, leicht klobige Bau missfiel Kaiser Franz-Josef so stark, dass sich der Architekt Eduard van der Nüll aus Verzweiflung erhängte. Und danach? Der Intrigenstadl keiner anderen Oper trieb so wilde Blüten. Ob Herbert von Karajan, Karl Böhm oder Lorin Maazel: Kein Chefdirigent war mächtig oder glamourös genug, als dass er nicht durch Künste der Wiener Innenpolitik in die Flucht geschlagen worden wäre. Schon Gustav Mahler hatte hier zu kämpfen. Erfolgreich waren fast nur die Hausberufungen (Ioan Holender). Weil sie ohne großen Erwartungsdruck ihrer Arbeit nachgehen konnten.
Noch etwas: Wenn es mit der Musikkritik in Wien, wie gelegentlich bemängelt wird, nicht zum Besten bestellt ist, so liegt das daran, dass das Wiener Publikum einer Belehrung schlicht nicht bedarf. Man schaffte es auch so, den Testosteron-Tenor Franco Bonisolli 1978 bei einer öffentlichen Generalprobe des „Troubadour“ so zu triezen und zur Weißglut zu treiben, dass er Karajan sein Schwert brüsk vor die Füße warf – und das Land auf Nimmerwiedersehen verließ. (Natürlich kam er später doch wieder.) Er machte dadurch einem formidablen Plácido Domingo Platz, welcher derart kurzfristig eingeflogen wurde, dass er sich heute an Einzelheiten seines gloriosen, auf DVD erhaltenen Auftritts nicht einmal erinnern kann.
Bei Sängern steht die Wiener Staatsoper sehr hoch in der Schätzung; so sehr, dass es jahrelang regelmäßig geschehen konnte – der Autor hat es erlebt –, für erkrankte, nicht ganz so prominente Protagonisten etwa in Mozarts „Figaro“ von jetzt auf gleich plötzlich Gundula Janowitz und Hermann Prey einspringen zu sehen. Das gab’s nur hier. Nur in Wien auch konnte man es sich leisten, viele Saisons hindurch Elīna Garanča oder Natalie Dessay als preiswerte Ensemblekräfte zu halten.
Nachdem das Haus unter Dominique Meyer etwas stärker regionalisiert wurde (und sich finanziell konsolidierte), steht mit Bogdan Roščić ab 2020 ein Direktor mit höherem Ehrgeiz auf der Matte. Er muss noch lernen, dass die Wiener Staatsoper vielleicht kein ‚schweres’, aber ein sehr gefährliches Haus ist (das einen leicht die Karriere kosten kann).
Vorerst wird gefeiert. Neben der „Frau ohne Schatten“ (Inszenierung: Vincent Huguet, mit Nina Stemme, Camilla Nylund und Stephen Gould, ab 25.5.) überträgt man ein Festkonzert nach draußen auf die Großbildleinwand vorm Haus (mit Sonya Yoncheva, Roberto Alagna, Benjamin Bernheim etc., 26.5.). Klar, dass dem Haus mit aktuell 350 Vorstellungen pro Saison, 60 verschiedenen Werken im Repertoire, 45 Livestreams, einem Ensemble von 60 Sängern und einer Auslastung hart an der 100%-Hürde niemand das Wiener Wasser reichen kann. „Prost!“ „Servas!“ „Grias di!“

Robert Fraunholzer



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