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(c) Boaz Arad
Als Guy Braunstein vor sechs Jahren seinen Job als Erster Konzertmeister der Berliner Philharmoniker aufgab, rätselte man. Kaum einem Geiger vor ihm war es gelungen, den winzigen Schritt vom Stimmführer zum Solo-Virtuosen hinzubekommen. Sich selbständig zu machen. „Mein Leben war früher viel einfacher“, gibt Braunstein zu, der große Teile der RattleÄra mitgeprägt hat. Sein Job war essenziell. Der Konzertmeister am 1. Pult gibt unauffällig Einsätze und ist damit oft wichtiger als der Dirigent.
„Meine Konzertmeister-Erfahrungen haben mich zu einem besseren Solisten gemacht“, glaubt der 1971 in Tel Aviv geborene Musiker. Übrigens sei der beste ‚Techniker’ unter den Dirigenten, den er erlebt habe (und er hat sie alle erlebt), Claudio Abbado gewesen. Warum? „Abbado sagte uns etwa: ‚Folgt an dieser Stelle nicht mir! Sondern der Klarinette.’“ Musikmachen sei ein Miteinander. Das gelte es auch als Solist im Blick zu behalten. Bei den Berliner Philharmonikern habe er sich sogar unbeliebt gemacht, da er es oft abgelehnt habe, unnötig viele Einsätze zu geben. Die halten vom Hören ab.
Nicht allein kammermusikalische Ideale befolgt Braunstein in seinem Album mit Tschaikowskis Violinkonzert. Es ist ja heute schwierig, überhaupt eine gute, nicht zu pathetische oder fette Tschaikowski-Interpretation zu finden. Braunstein weiß: „Wenn man in Russland Honig isst, wird nicht noch Zucker drübergestreut.“ Das habe der große Dirigent Jewgeni Mrawinski gesagt. Es sei die richtige Devise. Sogar die altmodisch anmutenden Arien-Arrangements aus „Eugen Onegin“ und das Pas de deux aus „Schwanensee“ werden so höchst genießbar. „Früher waren Geigen-Bearbeitungen üblich“, so Braunstein. „Obwohl ich zugebe, dass ich selber es nur aus Neid getan habe!“ Weil die Sänger bei Tschaikowski „so herrliche Melodien bekommen haben“.
Die Schule, aus der Braunstein kommt, mag mitwirken. „Ich war ein ‚Isaac Stern- Boy’“, so Braunstein. Der große Geiger „kam zwei Mal pro Jahr nach Israel. Auch in New York konnte ich täglich mit ihm studieren.“ Anschließend sei er dann immer an die MET gepilgert. „Opern waren immer wichtig für mich.“ Einige Jahre hatte Braunstein auch eine Professur an der Berliner Universität der Künste inne und leitete das Rolandseck-Festival (im Arp- Museum, Remagen). Er darf zu den unabhängigsten, im Erscheinungsbild übrigens vierschrötigsten Super-Solisten der Gegenwart gerechnet werden. Privat trifft man ihn nur in Plastik-Clogs – einer Gartenschuh-Variante der widerstandsfähigsten Art. Macht ihm nix.
Vor drei Monaten ist er erneut Vater geworden. „Der Junge schreit wie verrückt. Ich sage: ‚Lass ihn schreien’.“ Auch zur ‚Causa Barenboim’, also zur Frage autoritärer Arbeitsweisen eines von ihm verehrten Dirigenten (mit dem er „wohl 10.000 Stunden“ verbracht habe), vertritt Braunstein eine dezidierte Haltung: „An dieser Geschichte fehlt – die Geschichte.“ Im Fußball würde ja auch niemand nach den Arbeitsmethoden der Trainer fragen. Solange der gewinnt! Kann Braunstein natürlich leicht sagen. Mit Tschaikowski landet er selbst auf der – solistischen – Gewinnerseite.
Robert Fraunholzer, 20.04.2019, RONDO Ausgabe 2 / 2019
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