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RONDO: Warum haben Sie sich für die Orgel von St. Aurélie entschieden?
Benjamin Alard: Diese Kirche befand sich damals außerhalb der Stadt, ihre Gemeinde bestand aus Kleinbürgern und Bauern. Es war eine ähnliche Atmosphäre wie im Bach-Land Thüringen. Das ist für mich sehr wichtig für die Choräle und die Musik des jungen Bach. Es ist ein kleines Instrument, nur zwei Manuale, wie eine Dorf-Orgel.
RONDO: Das heißt, Sie suchen auch das richtige Umfeld, nicht nur nach einem geeigneten historischen Instrument?
Alard: Ja, das ist ganz wichtig. Jeder Teil wird eine neue Welt, erzählt eine eigene Geschichte.
RONDO: Wie sind Sie auf die wahnsinnige Idee gekommen, alles von Bach einzuspielen?
Alard: Ich hatte die Idee schon lange im Kopf. Vor allem aber einer anderen Dramaturgie zu folgen als nur: alle Orgelwerke, oder alle Partiten.
RONDO: Was erwartet den Hörer bei diesem zweiten Album?
Alard: Das werden vier CDs, zwei an der Orgel, zwei am Claviorganum, das ist ein Cembalo mit Orgelpfeifen. Wir wissen zwar nicht, ob Bach ein Claviorganum zuhause hatte, aber das Cembalo ist meiner Meinung nach manchmal zu trocken.
RONDO: Im ersten Album finden sich viele unbekanntere Kompositionen Bachs. Warum ist ein Teil seines Werks so wenig bekannt?
Alard: Diese vielen kleinen Stücke sind eigentlich groß, obwohl manche nur 30 Sekunden lang sind. Deshalb sind sie aber schwer im Konzert zu platzieren. Sie sind so delikat, wie kostbare Schmuckstücke! Ein Präludium ist ein kurzes Bild, eine Meditation, wie eine Improvisation!
RONDO: Also sind sie auch formal besonders?
Alard: Es gab vorher nur zwei Möglichkeiten, mit Chorälen umzugehen: Improvisation oder eine längere Choralfantasie. Aber Bach ist der Erste, der einen gemischten Stil kreiert hat. Eine Seite wie eine kurze Improvisation. Den richtigen Charakter bei der Interpretation zu finden, ist nicht leicht!
RONDO: Was hat Sie noch am jungen Bach gereizt?
Alard: Für mich war sehr interessant zu sehen, wie er sich der alten Dinge bedient hat. Er hat vieles adaptiert und ausprobiert, auch durch das systematische Kopieren von Partituren.
RONDO: Erschließt sich die Qualität sofort?
Alard: Manchmal liest man das und denkt, naja, nichts Besonderes. Aber beim dritten Lesen findet man das Leben dieses jungen Mannes darin! Als wir den Choral „O Jesu, wie ist dein Gestalt“ (Anm. BWV 1094) – einen Passionschoral – aufgenommen haben, waren wir sehr berührt. Wie ist das möglich, dass ein so junger Mann so etwas komponiert mit 16 Jahren? Das ist so tief! Ich bin sehr glücklich darüber.
Regine Müller, 13.04.2019, RONDO Ausgabe 2 / 2019
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