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N° 1354
20. - 30.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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Daniel Behle (c) Marco Borggreve

Heidelberger Frühling

Vision und Utopie

Die Zukunft geht alle an. Wie man sich musikalisch damit auseinandersetzen kann, zeigt 2019 das Festival am Neckar.

„Wie wollen wir leben?“ – unter diesem Motto wirft der Heidelberger Frühling 2019 einen Blick in die Zukunft, befragt menschliche und künstlerische Vorstellungen, Hoffnungen und Visionen vor dem Hintergrund einer sich rasant verändernden Lebens- und Arbeitswelt. In über 100 Veranstaltungen spüren vom 16. März bis zum 14. April musikalische Weltstars wie Mitsuko Uchida, Thomas Quasthoff oder Anja Harteros den unterschiedlichsten Utopien nach. Besondere Bedeutung hat das Thema „Zukunft“ darüber hinaus für die wiederum zahlreich am Neckar versammelten Teilnehmer der Festival-Akademien der Sparten Lied, Kammermusik und Musikjournalismus.
Ein besonderes Highlight ist 2019 die zwölfteilige Festivalreihe „Neuland. Lied“, ein verlängertes Wochenende vom 21. bis 24. März, dessen Fokus ganz auf dem politischen Lied liegt. Prominente Sängerinnen und Sänger wie Julian Prégardien, Daniel Behle oder Elisabeth Kulman sind an diesem Projekt des festivaleigenen „Liedzentrums“ beteiligt. Es soll die potenzielle politische Sprengkraft der Gattung – von den revolutionsgedankendurchglühten Liedern Beethovens bis zu Hanns Eislers kommunistischen Kampfgesängen – ebenso deutlich machen wie die Gefahr der Manipulation durch Musik. Eine Lektion hierzu erteilt gleich zu Beginn der Veranstaltungsreihe der Bariton Benjamin Appl: Bei seiner Matinee am 21. März in der Alten Aula der Universität treffen Nazi-Umdichtungen ausgewählter Schumann-Lieder (darunter die berühmte „Dichterliebe“) auf Vertonungen von Texten aus Theresienstadt. Eher im Privaten, in der Selbstbefragung, sucht Wolfgang Rihm das Politische in seinem Gryphius-Zyklus „Vermischter Traum“, den Georg Nigl – ebenfalls am 21. März in der Alten Aula (um 16.00 Uhr) – uraufführen wird. Die Befreiung der Frau schließlich ist Gegenstand von Elisabeth Kulmans politischem Liederabend im Kongresshaus (auch am 21. März), während Daniel Behle am folgenden Vormittag Strauss‘ satirischen „Krämerspiegel“ auf Texte von Alfred Kerr in den Fokus rückt. Die Abschlussveranstaltung am 24. März (um 11.00 Uhr in der Alten Aula) gehört dann den von Thomas Hampson gecoachten Stipendiatinnen und Stipendiaten der Lied Akademie.
Vollständig auf Kammermusik ausgerichtet ist vom 4. bis 7. April die Reihe „Standpunkte“: elf Konzertprogramme, in denen hochrangige Instrumentalisten in unterschiedlichen Besetzungen versuchen, rein musikalische Antworten auf die Motto-Frage „Wie wollen wir leben?“ zu finden. Zu ihnen gehört die von Publikum und Fachkreisen hochgelobte chinesische Geigerin Tianwa Yang, die wie ihre Kollegen Alisa Weilerstein (Violoncello) und Alexej Gerassimez (Perkussion) sowohl beim Eröffnungskonzert als auch beim Abschlusskonzert zu hören sein wird. Veranstaltungsort ist jeweils das Kongresshaus. Ein weiterer, höchst prominenter Mitstreiter an beiden Terminen ist der Pianist Igor Levit, der außerdem am 5. April als Solokünstler zu erleben ist. Auf dem Late-Night-Programm in der HebelHalle steht Ronald Stevensons ausladende „Passacaglia on DSCH“ über die Initialen des Komponisten Dmitri Schostakowitsch, dessen 15. Sinfonie in bearbeiteter Form auch beim „Standpunkte“- Abschlusskonzert gespielt wird. Spannend geht es, ebenfalls am 5. April in der HebelHalle, beim Abend des Quatuor Debussy um 19.30 Uhr zu. Hier treffen in einer Musik- und Text-Collage Haydns „Letzte Worte“ auf die letzten Worte von Märtyrern (Rezitation: Sebastian Koch).

BaRoccoPop-Oper in 4D

Multimediales Musiktheater schließlich erwartet die Festivalbesucher in der Produktion „Castor&& Pollux“, die am 2. April in der Alten Aula zur Uraufführung gelangt. Federführend verantwortlich ist der Komponist und Videokünstler Lukas Rehm, der wie der Rest des künstlerischen Teams – Lisa Charlotte Friederich (Regie) und Jim Igor Kallenberg (Dramaturgie) – Fellow des festivaleigenen „LAB“ ist. In der größten Eigenproduktion seit Bestehen des Heidelberger Frühling trifft Jean-Philippe Rameaus Barockoper über das mythologische Zwillingspaar Castor und Pollux auf die futuristische Vision einer Welt, in der menschliche und künstliche Intelligenz miteinander verschmelzen, Phänomene wie Bewusstsein oder Emotionen neu gedacht werden können und auch der Traum von Unsterblichkeit nicht unbedingt ein Traum bleiben muss. Spannend ist dabei schon die Gegenüberstellung des barocken Instrumentalisten- und Sänger-Ensembles mit dem begehbaren „4DSOUND“- Raumklangsystem auf der Bühne, das als technische Erweiterung herkömmlicher Surround-Beschallung über ausgefeilte Möglichkeiten des mehrdimensionalen Raumklangs verfügt und die elektronischen Klänge, die Lukas Rehm zu dem Projekt beisteuert, noch plastischer erfahrbar macht.

www.heidelberger-fruehling.de

Frühlingsstimmen

Neben den genannten Künstlerinnen und Künstlern präsentiert das reguläre Programm in diesem Jahr eine Reihe weiterer prominenter Musikernamen: darunter Khatia Buniatishvili und Yefim Bronfman, die jeweils mit Klavier-Rezitalen zu hören sein werden. Zu den Kammermusikgrößen gesellen sich der Geiger Renaud Capuçon, der Pianist David Fray, der Bratscher Nils Mönkemeyer und der Cellist Alban Gerhardt. Bedeutende Klangkörper, die dieses Jahr in Heidelberg zu hören sind, sind neben dem Mahler Chamber Orchestra als Residenzorchester u. a. auch die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen, das Bergen Philharmonic Orchestra sowie die Münchner Philharmoniker unter Valery Gergiev.

Stephan Schwarz-Peters, 02.03.2019, RONDO Ausgabe 1 / 2019



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