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N° 1353
13. - 24.04.2024

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Musikstadt

Mechelen

Mechelen, das ist die Residenz von Margarete von Österreich – aber seit 2018 auch das Musik- und Mondfestival Lunalia, das verzaubert.

Wenn der Mond im siebten Hause steht und Jupiter auf Mars zu geht ...“ Nein, nein, nein, Mechelen ist nicht Musical-Stadt geworden, hier findet keine Hommage an „Hair“ statt, und auch Esoteriker sind hier nicht anders verbreitet als im übrigen Belgien. Und doch zieht es eine gewisse Sorte von Mondsüchtigen seit einiger Zeit in das flandrische Juwel historischer Baukunst. Schuld daran ist ein Künstlerischer Leiter, der auch schon den Potsdamern und ihren Musikfestspielen in Schlössern und Gärten so manchen zauberischen Moment des „Verweile doch ...“ geschenkt hat. Denn seit Jelle Dierickx den Frühjahrsableger des bestens eingeführten Festival van Vlaanderen leitet, schaut man hier in den Mond. „Lunalia“ heißen jetzt die klingenden Festwochen, und letztes Jahr waren alle wie berauscht. Das sollen sie auch dieses Jahr wieder vom 27. April bis zum 12. Mai sein.
Mechelen freilich muss sich auch immer noch aus dem Windschatten der größeren historischen Städte Antwerpen, Gent, Brügge und selbst Löwen lösen. Man ist nicht groß, 86.000 Einwohner, aber immerhin ist der atmosphärische Ort Sitz des Erzbischofs von Belgien.
Die kreisrunde Innenstadt hat kaum einen Quadratkilometer Durchmesser, alles ist sehr kompakt hier, man sieht sich. 300 denkmalgeschützte Gebäude finden sich dort, darunter allein acht Kirchen. Da sind die grandiose St.- Rombouts-Kathedrale mit ihrem van-Dyck-Altarblatt und die Sint- Pieter-en-Paulkerk. Dann wären noch die drei berühmten Stadthäuser Sint Jozef, De Duivel (Der Teufel) und Het Paradijs (Das Paradies) zu nennen, das stolze Rathaus und das Brüsseler Stadttor. Zur Hauptstadt sind es nur 30 Kilometer. Der Turm von St. Romuald aus dem 13. bis 15. Jahrhundert, 98 Meter hoch, aber unvollendet, dafür mit gleich zwei Carillons genannten Glockenspielen, gehört übrigens seit 1999 zum UNESCO-Welterbe „Belfriede in Belgien und Frankreich“ (das Carillon selbst ist seit 2015 Welterbe), ebenso der Belfried der Tuchhalle von 1340, inzwischen Teil des Rathauses. Zu den repräsentativen, mit schönen Backsteinhäusern und Palästen gesäumten Plätzen zählen der Grote Markt, der Viehmarkt und der Schustermarkt. Hier steht auch das Denkmal für die Regentin Margarete von Österreich, die der Stadt ihre wohl größte Blüte bescherte.
1336 fiel das Städtchen durch Kauf an die Herzöge von Brabant und schon zwei Jahre später durch Heirat an Philipp den Kühnen von Burgund. Der hochstehenden burgundischen Zeit ist besonders das Museum im Adelspalast Hof van Busleyden gewidmet, hier kann man eine spannende Zeitreise unternehmen. 1477 heiratete Maria von Burgund, Tochter Karls des Kühnen, Kaiser Maximilian I. von Habsburg, und Mechelen wurde so österreichisch. Unter der Statthalterin Margarete von Österreich, Marias Tochter, war Mechelen zeitweise sogar Hauptstadt der Niederlande. Margarete richtete sich hier einen Musenhof ein und war eine bedeutende Musikmäzenin. Neben den Humanisten Cornelius Agrippa, Adrian von Utrecht oder Erasmus von Rotterdam hielten sich hier auch Komponisten und Kleriker wie Josquin Desprez und Pierre de la Rue auf. De la Rue schrieb für Margarete neben geistlichen Werken auch melancholisch-todessehnsüchtige Chansons, um ihren Witwenstand zu unterstreichen.
Schön und ruhig ist es im Großen wie im Kleinen Beginenhof – beide gehören seit 1998 zum UNESCO-Welterbe der flandrischen Beginenhöfe. In der Liebfrauenkirche aus dem 16. Jahrhundert kann man Peter Paul Rubens’ berühmten „Fischzug“ bewundern, auch die Johanniskirche enthält einige wertvolle Gemälde von Rubens. Der Palast der Margarete von Österreich ist hingegen seit dem 20. Jahrhundert Gerichtshof. Die Kazerne Dossin ist Gedenkstätte, Museum und Dokumentationszentrum für Holocaust und Menschenrechte am Ort des ehemaligen SS-Sammellagers Mechelen.
Mechelen ist bekannt als Heimat einer der ältesten Brauereien Belgiens, Het Anker. Nach wie vor werden hier auch die traditionellen Mechelner Klöppelspitzen hergestellt. Eines Nachts im Jahre 1687, als die Bürger einen feurigen Schein im Kathedralenturm sahen, begab man sich eifrig ans Löschen – es war aber nur ein feurig roter Mond. So wurde Mechelen zum belgischen Schilda, seine Bewohner sind seither die Maneblussers, die Mondlöscher. Maneblusser heißt übrigens auch ein Bier im Het Anker.

Poetisch – und ein bisschen verrückt

Unter einem besseren Mond soll aber jetzt das Lunalia Festival stehen, die Webseite wird von einer Scheibe in verschiedenen Blautönen geziert. 2019 ist mehr als nur der 50. Jahrestag des ersten Mannes auf dem Mond; es ist auch 50 Jahre her, dass das Festival Of Flanders seine ersten Konzerte in Mechelen veranstaltete. Deshalb steht die zweite Lunalia- Ausgabe unter dem Motto „The Sound Of M“: Der Sound von Mechelen, der Sound Of Music, der Klang des Mondes. Der Fokus wird wieder auf jeder Facette der menschlichen Stimme liegen. Und die Stimme-in-Residence ist keine andere als die des belgischen Tenors Reinoud Van Mechelen, dem ein besonderer Schwerpunkt gewidmet sein wird.
Lunalia beginnt jedes Jahr übrigens flächendeckend mit einer Gratis- Eröffnungsfeier für die ganze Familie. Dabei handelt es sich um kurze Konzerte von ungefähr 25 Minuten, die als Kostproben dienen. Zugleich ist es eine schöne Art und Weise, um Mechelen zu entdecken. Wichtig sind zudem Duobann XL, ein Künstlerkollektiv, bestehend aus Anneleen De Causmaecker (bildende Künstlerin), Barbara Ardenois (Akkordeonistin) und Marieke De Maré (Schriftstellerin). Sie erkunden die Grenzen von Musik und Performance, Bild und Ton, immer mit einem Hauch von Poesie. Ihre Arbeit ist klein, kompakt, nah am Publikum, verlockend und ein bisschen verrückt. Sie spielen, sprechen und machen Dinge ... Und sie lieben Murmeln.
Lunalia 2019 verspricht also, eine farbenfrohe Ausgabe zu werden. Es verwebt unzählige Geschichten in einen Musik-Teppich, von Mozart über Flamenco, von Märchen bis hin zu Musiktheater, Jazz und einer umfassenden Chorparade. Der Beat von Mechelen, das soll die wahrlich zeitlose Musik verbunden mit der Kraft des Vollmonds werden. Denn Lunalia ist ein Stimm-Festival, und es kennt erfrischend wenig Berührungsängste gegenüber Musiksparten, denen man das Etikett des Zeitlosen nicht so ohne weiteres anheften würde.

www.lunalia.be
www.visit.mechelen.be
www.hofvanbusleyden.be

Mondsüchtig

Auch der Lunalia 2020-Schwerpunkt steht schon fest. Im Beethoven- Jahr (250. Geburtstag) widmet man sich vom 24. April bis einschließlich 10. Mai natürlich ganz der Familie Van Beethoven, denn der Großvater des Komponisten (ebenfalls ein Ludwig) stammte aus Mechelen. Im Mittelpunkt steht selbstredend das Vokalwerk Ludwig van Beethovens, Lieder, Chorwerke, Kanons, Bearbeitungen von Volksliedern und Kompositionen, die mit dem Theater verbunden sind. Das ist selbst für Experten manchmal noch ein unerforschtes Gebiet. Darüber hinaus kann Mechelen noch immer mit einer Anzahl von einzigartigen (Konzert)Plätzen glänzen, die verbunden sind mit besagtem Großvater: das Koraalhuis, die Sint-Rombout- Kathedrale und die St.-Katelijne-Kirche.

Matthias Siehler, 02.03.2019, RONDO Ausgabe 1 / 2019



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