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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



Startseite · Interview · Blind gehört

(c) Brent Calis

Blind gehört

Matt Haimovitz: „Das muss ein ganz Großer sein!“

Matt Haimovitz erkennt Geiger besser als Cellisten. Und möchte, dass sein Cello auf keinen Fall tief wie ein Bariton klingt. Geboren 1970 in Bat Yam (Israel), wanderte er mit seiner Familie nach Palo Alto/Kalifornien aus, als er fünf Jahre alt war. Entdeckt von Itzhak Perlman, wurde er zu Leonard Rose an die Juilliard School in New York weitervermittelt. Nach seinem Durchbruch in Tel Aviv unter Zubin Mehta in den 80er Jahren erhielt er einen Exklusiv-Vertrag bei der Deutschen Grammophon. 1999 gründete er sein eigenes Plattenlabel. Haimovitz lebt im kanadischen Montréal und ist mit der Komponistin Luna Pearl Woolf verheiratet. Die beiden haben zwei Töchter.

Schöner Klang. Ist das Rostropowitsch? Das nenne ich: blutvoll, warm, allerdings auch langsamer als ich das Schumann- Konzert spiele und mag. Der Ton ist nicht zu sauber, nicht zu clean. Das Orchester klingt sehr reich, man spürt sozusagen den Einfluss der Berliner Philharmoniker. Was mir fehlt, ist das innere Drama. Schumanns Metronom- Angaben sind sehr schnell, doch ich vertraue ihnen. Das hier ist sehr lyrisch, hat aber zu wenig innere Spannung, wenn Sie mich fragen. – Was, Yo-Yo Ma?! Da hat er aber seinen Rostropowitsch-Tag gehabt. Wunderbar runder Ton. Aber ich finde doch: So wichtig ist Schönheit hier nicht.

Robert Schumann

Cello-Konzert op. 129

Yo-Yo Ma, Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Colin Davis

Sony

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Weniger altmodisch, meine ich. Schöne Temporückungen. Das alles klingt erstaunlich spontan. Wow, was für ein exzellenter Hornist. Großartig. Da geht schon was los, bevor der Cellist überhaupt angefangen hat. Nicht nur eine Einleitung! Die Aufnahme erscheint mir recht modern, auch vorzüglich aufgenommen. Da ist der Cellist! Er ist sehr darauf bedacht, zu projizieren und gut durchzukommen. Das wird wohl auch an dem sehr guten Orchester liegen … Leider gehen Nuancen und Finessen dabei drauf. Sehr guter Rhythmus! Ich wünschte mir das vielleicht etwas introvertierter. Das ist kein Fournier, kein Tortelier. Es muss ein russischer Solist sein. – Was, das ist doch Pierre Fournier?! Das sind schockierende Neuigkeiten. Ich habe ihn noch live gehört. Er ging an Krücken, das Instrument musste ihm gebracht werden. Ich war sehr beeindruckt. Nicht so wie bei Rostropowitsch, der alle umgeblasen hat. Ich muss sagen, jetzt, wo ich weiß, dass es doch Fournier ist, finde ich es gleich besser.

Antonín Dvořák

Cello-Konzert op. 104

Pierre Fournier, Berliner Philharmoniker, George Szell

DG/Universal

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Furchtbar! Da ist ein schlimmer Bursche am Werk. Ein ekelhafter Kerl. – Naja, so leicht kriegen Sie mich nicht! Dieses Werk von Phil Glass hat, glaube ich, niemand außer mir eingespielt. Es war mein Auftrag und ich habe mit dem Komponisten daran gearbeitet. Gedacht war es als eine Art Ouvertüre für die erste Cello-Suite von Bach. Glass, der gern überrascht, ist ja inzwischen ziemlich neoromantisch geworden. Er folgt hier allerdings Bachs Polyphonie. Ich habe sechs Werke dieser Art beauftragt, und Glass war nicht nur der erste, der fertig war. Er war auch ökonomisch hilfreich, weil er mir den Rat gab: „Sag allen, dass sie dasselbe kriegen wie Philip Glass!“ Das war ein exzellenter Hinweis. Ich war eigentlich gegen minimal music, als ich Kontakt zu ihm aufnahm. Glass hatte gerade ein Cello-Konzert für seine Ex-Freundin geschrieben, von der er sich frisch getrennt hatte. Eigentlich hat er mich selber davon überzeugt, dass er das Stück schreiben müsse.

Philip Glass

Ouvertüre

Matt Haimovitz

Pentatone/Naxos

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Keine Aufnahme auf historischen Instrumenten. Aber ein schöner Gebrauch des Non-Vibrato. Auch der Kontrast des Cellisten zum Orchester ist sehr gut balanciert. Der Mann spielt on steroids – fast wie gedopt, so ruhig und ungestört bleibt er. Man merkt auch, dass er Erfahrungen mit dem Barockcello hat. Der Ton blüht. Die Stimmung muss 440 Hz. sein. Demnach könnte es Steven Isserlis sein. Und doch auch wieder nicht, denn es klingt nach Stahlsaiten. Also ist es auch nicht Pieter Wispelwey. – Aha, Nicolas Altstaedt? Ich gestehe, dass ich den Namen kenne, aber in Kanada, vermutlich auch in den USA, haben wir ihn noch nicht richtig kennengelernt. Leitet er nicht das Lockenhaus Festival? Offenkundig ein sehr guter Mann.

Carl Philipp Emanuel Bach

Cello-Konzert a-Moll Wq170

Nicolas Altstaedt, Arcangelo, Jonathan Cohen

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Eine etwas ältere Aufnahme. Man hört ein großes, russisches Vibrato. Da schmeißt sich jemand richtig rein, und das passt ja auch zum Korngold-Violinkonzert. Wir könnten es mit Isaac Stern zu tun haben. Sehr schön lyrisch. Großartig! Für Heifetz ist die Aufnahme zu jung, und Oistrach hat es, glaube ich, nicht gespielt. Der Ton ist zu warm für Henryk Szeryng. Das hat ein richtiges Filmmusik-Flair. Es muss ein ganz Großer sein. Wer ist noch übrig? Itzhak Perlman!! Allerdings wäre die Aufnahme nicht sehr typisch für ihn, denn er hält hier stark Kontakt zur älteren Tradition. Trotzdem, Perlman muss es sein.

Erich Wolfgang Korngold

Violinkonzert D-Dur

Itzhak Perlman, Pittsburgh Symphony Orchestra, André Previn

Warner

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Na also, das ist nun mal kein vornehmer Franzose! Das Tempo ist anders und der Stil auch. Das Werk ist immer noch so populär, dass ich es pro Saison mindestens ein bis zwei Mal spiele. Man kann es sich nicht leisten, es nicht zu können. Die Aufnahme strahlt eine gewisse Jugend aus. Sehr schön! Das Orchester hat einen Strahlklang, zugleich Intimität. Da wird nichts gepusht, auch nicht in puncto Virtuosität. Organisch. – Was, das soll Rostropowitsch sein!? Sehr interessant. Er war sonst immer larger than life. Da hat vielleicht Giulini sublimierend eingewirkt. Ich habe einmal mit Rostropowitsch spielen dürfen, als mein Lehrer Leonard Rose krank war. Und zwar das Schubert-Quintett gemeinsam mit Isaac Stern, Shlomo Mintz und Pinchas Zukerman. Slava spielte immer das zweite Cello, so dass ich das erste übernehmen musste. Und das als Debüt in der Carnegie-Hall! Fragen Sie mich nicht, wie ich das geschafft habe. Ich musste ihm vorher Bach vorspielen. Und hatte später noch manches Mal mit ihm Kontakt. Rostropowitsch war der Grund, weshalb ich überhaupt Cello spielen wollte. Ein Recital in San Francisco, als ich sieben Jahre alt war, hatte mich umgehauen. Von ihm unterrichten lassen durfte ich mich nicht, da ich Schüler bei Leonard Rose war. Er war etwas eifersüchtig …

Camille Saint-Saëns

Cello-Konzert Nr. 1

Mstislaw Rostropowitsch, London Philharmonic Orchestra, Carlo Maria Giulini

Warner

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Oh, wunderbar. Ein toller Charakter, eine tolle Stimme. Die ich leider nicht erkenne. Man hört, dass es ein Liedersänger mit Kontakt zur Oper ist. – Christian Gerhaher? Na also. Ich denke oft an Stimmen, wenn ich spiele. Bei Dvořák habe ich unwillkürlich einen Opernsänger im Kopf. Bei Beethovens Variationen über ein Thema aus der „Zauberflöte“ dachte ich früher an Elisabeth Schwarzkopf: Ätherisch, fließend, ich habe direkt versucht sie zu imitieren. Ich liebe auch die Peter Pears-Aufnahmen, bei denen Benjamin Britten begleitet. Ein Cello, glaube ich, sollte stimmlich alles sein, nur kein Bariton. Der ist übrigens auch die gefährlichste Stimmlage für mein Instrument, weil man in dieser Lage vom Orchester zugedeckt zu werden droht. Da muss man kämpfen. Wenn jemand alles auf der D-Saite komponiert, schlage ich dem Komponisten immer vor, es zu transponieren.

Gustav Mahler

Lieder eines fahrenden Gesellen

Christian Gerhaher, Orchestre symphonique de Montréal, Kent Nagano

Sony

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Das trifft genau meinen Geschmack, denn ich liebe Jazz. Besonders die Klassiker Miles Davis, John Coltrane, Duke Ellington, auch Charlie Mingus. Insofern hier ein Pianist den Ton angibt, ein vorzüglicher sogar, tippe ich mal auf Art Tatum. All diese Musiker beneide ich darum, in einer Gruppe zu spielen und trotzdem derart frei zu sein. Wir dagegen kleben an Partituren. Ich glaube nicht, dass die Komponisten, von denen die meisten viel Sinn fürs Improvisieren besaßen, es so gewollt haben. In einem neuen Werk, das meine Frau für mich komponiert hat, hat sie mir das Ende ganz zum Improvisieren überlassen. Da komme ich unwillkürlich an meine Grenzen. Wir sind das Improvisieren nicht mehr gewohnt. Es sollte auf der Universität gelehrt werden. Das Improvisieren müssen wir unbedingt wieder lernen.

Cole Porter

„Night and Day“

Art Tatum, Carter, Bellson

Pablo

Neu erschienen:

Isang Yun

„Sunrise Falling“ (Cellokonzerte, Kammermusik)

Matt Haimovitz, Yumi Hwang-Williams, Bruckner Orchester Linz, Dennis Russell Davies

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Robert Fraunholzer, 27.10.2018, RONDO Ausgabe 5 / 2018



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