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Gleich zwei Betriebsunfälle begleiteten die Fortführung des „Ring des Nibelungen“-Zyklus bei der „Siegfried“-Premiere der Berliner Staatsoper im Schiller Theater. Gezeichnet von schweren gesundheitlichen Vorfällen bot der Sänger des Wotan leider nur noch eine Schwundstufe seines einstigen, machtvoll dunklen Bassbaritons. Und dem belgischen Regisseur Guy Cassiers ist gar nichts eingefallen. Nun könnte man sich über diese szenische Nullnummer luftschnappend ereifern. Muss man nicht. Denn der lange, niemals langweilige Abend hat einen großen, bescheidenen Gewinner: Daniel Barenboim.
Die Regie erklärt dekorativ den Bankrott, also übernimmt der Mann mit dem Zauberstab. So geht diesmal wirklich alle Macht vom Pult aus. Wie gute Vorleser können Barenboim und das mit ihm immer mehr verschmelzende Orchester quasi mit verschiedenen Stimmen sprechen. Das alles ohne jede Mühe und Kiekser: Die Wucht ist weg von Wagner, man folgt dem fasziniert und mit wachsender Bewunderung.
Doch auch das Theater an der Wien hatte was zu bieten. Tolle Kiste nämlich, so ein Container. Genormt, universell einsetzbar, robust. Und womit er sich alles füllen lässt: sogar mit drei einaktigen Opern, einem Pariser Kanal, einem italienischen Kloster, einer florentinischen Villa und diversen Sängern. Alles nur Trug, Theater, dabei haben bei Giacomo Puccinis „Il trittico“ für mehr als drei Stunden die Emotionen auf der Bühne und im Graben gekocht. Mal tragisch, mal esoterisch-aufbegehrend, schließlich grell-komisch. Und immer ziemlich gut.
Die Stücke wirken komplett noch stärker – durch ihren mal realistischen, dann surrealen, schließlich parodistischen Ansatz; durch ihre stimmungsdifferenzierende Musik; durch in diversen Rollen wiederkehrende Sänger und bisweilen durch ein Regiekonzept, das gerade aus dem Divergierenden eine Einheit formt. So, wie es jetzt Damiano Michieletto und seinem Bühnenbildner Paolo Fantin gelungen ist. Und Patricia Racette mit totalem stimmlichem wie darstellerischem Einsatz. Sich an die Schuhe des toten Kindes als einzige Erinnerung klammernd, steht sie als Georgetta schwitzend zwischen der Schwüle der Hafenkisten, drückt sich später als Angelica an die Wand der Zelle, die mit Marienbildern bedeckt ist.
„Moderne trifft auf die Schätze der Vergangenheit“, so hat es Intendant Berndt Schmidt beschworen. Und „Glamour is back“ als Motto ausgegeben. Nach zwei gut gelaufenen Revuen kann sich der beinharte Sanierer, der 2007 den Berliner Friedrichstadt-Palast aus der Fastpleite gezogen hat, entspannt zurücklehnen. „Show me“, Schmidts dritte Auftragskreation, hat den so legendären wie eigentlich nicht mehr zeitgemäßen Tingeltangeltempel endlich im Heute ankommen lassen. Hypnotisch wird man ins Geschehen gesaugt. Hier wird geklotzt, aber mit Sinn fürs große Ganze. Und mit Leere. Zeitweise zumindest und dann höchst poesievoll. Wenn ein Tanzpaar sachte von einem riesigen Gazeschleier sich treiben lässt, oder wenn die Primaballerina von Gestern nur mit einem Fächer sanft nostalgisch wedelnd um das riesige Revue-Rund trippelt.
Dieser Minimalismus auf der monumentalen Bühne, der tut dem Friedrichstadt-Palast gut, der macht ihn entspannt modern. Man muss die vielen liebevollen Anspielungen gar nicht verstehen, man kann sich einfach gleiten lassen in den erstaunlich verhaltenen Rausch der Bilder, die eben keine Clips, sondern handgemacht sind. Bringt uns die schönen Mädchen! 100 Mitwirkende. 12 Choreografen. Die größte Theaterbühne der Welt, auf der jetzt für neun Millionen Euro Produktionskosten bei bereits 125.000 verkauften Karten zwei Jahre lang achtmal in der Woche Tänzer, Akrobaten, Sänger, Kulissen, Kostüme von Christian Lacroix und Maschinen durcheinanderwirbeln. Das gibt es so opulent und personalintensiv nicht in Las Vegas und nicht in Paris, das kann man nur in Berlin erleben. Und man muss sich jetzt endlich nicht mehr schämen, dass man sich hier einem anachronistisch gewordenen Vergnügen hingibt.
Roland Mackes, 30.11.1999, RONDO Ausgabe 6 / 2012
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