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N° 1354
20. - 30.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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(c) Sven Marten

Heidelberger Frühling

Mit Dank zurück

Nach über 20 Jahren Erfolgsgeschichte engagiert sich das Festival am Neckar nun auch für die Optimierung der Heidelberger Stadthalle.

Deutschland, deine Konzertsäle. Ist ja nicht viel übrig geblieben nach dem zweiten Weltkrieg, besonders nicht in den großen Städten. Einzige Ausnahme: Hamburg, wo die jetzt wieder Laeiszhalle geheißene Musikhalle sogar im Windschatten der Elbphilharmonie ein unerwartet gedeihliches Leben führt. Und, nicht ganz so große Stadt, die Glocke in Bremen. Mit ihrem Backstein-Art- Déco, wurde sie ja erst Ende der Zwanzigerjahre fertig.
Ansonsten muss man nach Wuppertal fahren, wo die famose Stadthalle als Neorenaissancemusikschloss neben dem Bahnhof thront. Oder ins verspielte Kurhaus Wiesbaden, in den nur noch halb historisch-jugendstiligen Mannheimer Rosengarten oder in die kassettierte Holzpracht des Max-Littmann-Saals des Bad Kissinger Regentenbaus, wo immerhin einmal die Münchner Philharmoniker für die Kurmusik de luxe verantwortlich waren.
Ja und dann wäre da noch die Stadthalle Heidelberg. Hat man sich erstmal an die etwas martialisch deutschtümelnden Adler als Raumschmuck im Großen Saal gewöhnt, stellt man fest, dass sie optisch wie akustisch eigentlich ganz ansprechend ist. Sie schmiegt sich kuschelig in die historische Uferzeile der Romantikerstadt am Neckar (Achtung: Grundwasser-Probleme!). Erbaut wurde sie nach den Plänen der Architekten Jakob Henkenhaf und Friedrich Ebert von 1901 bis 1903. Stilistisch verbinden sich hier Elemente der Gründerzeit und Renaissancearchitektur mit Elementen des Jugendstils, man könnte glatt vom Heidelberger Stadthallenstil sprechen. Sie wurde aus Anlass des hundertjährigen Jubiläums der Universitätsreform von 1803 als Versammlungs- und Festgebäude für die Bürgerschaft erbaut. Kern des Gebäudes ist der bis zu erstaunlichen 2481 Personen Platz bietende Festsaal.
Der kommt einem eigentlich viel kleiner vor. Das liegt aber daran, dass die Halle wegen der umstehenden Bebauung quasi quergelegt werden musste und einen annähernd quadratischen Grundriss hat. Das ist zwar gut für Kammermusik, etwa Grigory Sokolov oder András Schiff lieben den Saal sehr, aber große Gastorchester winken meist ab. Zumal die Bühne nach mehreren Umbauten etwas arg eingekastelt wirkt, der Schall quasi komplett eingeklemmt wird und für größere Besetzungen vorne am Podium angebaut werden muss.

Bahn frei für den Klang

Das aber soll sich künftig ändern. Denn dank der Bekanntheit und Exzellenz des nunmehr seit über 20 Jahren existierenden, längst mit internationalen Lorbeeren ausgezeichneten Festivals Heidelberger Frühling ist endlich Bewegung in eine seit langem verfahrene Angelegenheit gekommen. 1980 wurde die Stadthalle bereits akribisch renoviert (und dabei mal wieder die Bühne umgebaut), aber es wurde auch eine Nutzung als Kongresszentrum beschlossen. Das aber soll nun, lange umstritten, endlich doch Richtung Bahnhof verlegt werden. Somit ist endlich der Weg frei für eine Optimierung der Halle für den Konzertbetrieb. Wie praktisch, dass der umtriebige Frühling-Intendant Thorsten Schmidt dafür auch schon einen Mäzen an der Hand hat.
Es ist wieder mal der gegenüber wohnende Pharmaunternehmer Wolfgang Marguerre, der für den Umbau des 2009 wiedereröffneten Stadttheaters bereits 15 Millionen Euro locker gemacht hat und dessen Namen der neue Saal seither trägt. Für die Stadthalle hat er gemeinsam mit ein paar weiteren Spendern 22 Millionen Euro versprochen, sechs Millionen muss dann noch die Kommune aufbringen.

Nachbarschaftshilfe

Dass sich der Mäzen derartig finanziell engagiert, liegt daran, dass ihm der Stadthallenumbau ein Herzensprojekt ist, denn jeden Tag schaut er vom Neuenheimer Hang auf den Sandsteinbau: „So richtig fiel mir die Stadthalle auf, als vor über sieben Jahren über die Erweiterung zum Konferenzzentrum diskutiert wurde. Sicher, die Stadt hat für notwendigste Reparaturen Millionen eingeplant – aber das hätte nie und nimmer für den ‚großen Wurf‘ gereicht, der mit den Mängeln des Gebäudes aufräumt – angefangen von der Akustik über die kläglichen Künstlergarderoben bis hin zum Ballsaal, den man nur durch einen Nebeneingang erreichen kann“, so Marguerre.
Und natürlich vertraut er Thorsten Schmidt, dass der danach weiter musikzaubert, so wie er es bisher ja schon getan hat. Denn die Halle ist künstlerisch unter dem Jahr dem Theaterorchester Heidelberger Philharmoniker vorbehalten, neben dem Frühling tauchen kaum hochkarätige Klassikplayer von außen in der Stadt auf. Schmidt schwärmt davon, wie gut es klingen wird, wenn der Saal erst einmal tiefergelegt, die Bühne etwas vorgezogen sein wird. „Dann ist mehr Raumvolumen vorhanden, der Klang ist auch jetzt nicht übel, aber manchmal ist es eben räumlich wie akustisch zu gestaucht.“
Was freilich vom Tisch scheint, ist die Idee des auch beim Theaterumbau architektonisch federführenden Büros Waechter+ Waechter, das dem Saal Weinberg- Ränge mit Mittelpodium verpassen wollte, da es dessen Denkmalcharakter dann doch allzu sehr verändert hätte. Könnte der Heidelberger Frühling gar ein -Sommer, -Herbst und -Winter werden? Thorsten Schmidt denkt durchaus darüber nach, mit seinem Team auch eine ganzjährige Bespielung zu stemmen. Aber eines ist für ihn klar: Die großen Orchester wird man auch künftig nur ausnahmsweise in Heidelberg hören.

www.heidelberger-fruehling.de

Man sieht sich

Das Musikfestival Heidelberger Frühling findet seit 1997 jährlich im März und April in Heidelberg statt – mit über 100 Veranstaltungen und 44.000 Besuchern. Tendenz steigend. Kernstück sind neben den vielfältigen Konzerten internationaler Künstler das Streichquartettfest Heidelberg, die Heidelberg Festival Akademie für Liedgesang, Kammermusik, Komposition und Musikjournalismus sowie der Branchentreff Heidelberg Music Conference. Geschäftsführender Intendant ist Thorsten Schmidt. Der Umbau der Stadthalle als zentralem Festivalort soll nach dem Festival 2019 erfolgen und Ende 2020 abgeschlossen sein, für die kommenden zwei Spielzeiten muss man also auf Alternativorte ausweichen.

Matthias Siehler, 09.06.2018, RONDO Ausgabe 3 / 2018



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