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N° 1353
13. - 23.04.2024

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am 20.04.2024



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Unterm Strich

Ramsch oder Referenz? CDs, vom Schreibtisch geräumt.

Wie oft wurde die „Kunst der Fuge“ schon umgepflügt? Dreihundertmal? Fünfhundertmal? Nur einen Diesel-Traktor hatte bis jetzt noch niemand dafür benutzt. Die Austrian Art Gang setzt dieses landwirtschaftliche Museumsgerät bei Johann Sebastian Bach auch nur aus Symbolgründen ein, beim Fototermin. Stattdessen sind Saxophon und Klarinette, Fagott und Gitarre, Cello und Kontrabass mit im Spiel bei den acht der vierzehn Fugen aus BWV 1080 (Gramola/Naxos GR99142). Anfangs, in Track 1, wirkt diese studienratskorrekt sanft angejazzte Instrumentation noch etwas bieder. Aber dann wächst etwas Besonderes aus der Ruhe heraus, Melancholie färbt die Details ein, in der Kunst der Übergänge, der Schlichtheit der solistischen Ausflüge, dem Steptanz von Fagott und Gitarre in der Spiegelfuge Nr.12. Freie Fantastie und strenge Fuge waren bereits zur Bachzeit Formen, die einander kommentiert haben. Hier greift die Improvisation beiläufig ein ins polyphone Gerüst und löst es auf.

Für Fagott hätte Ludwig van Beethoven beinah mal ein Konzert geschrieben. Die Klarinette liebte er eher weniger, das Horn aber sehr, er hatte es schließlich selbst gespielt als kindlicher Hofmusiker in Bonn, und seine wenigen Stücke für Harmoniemusik muten den Hörnern denn auch einiges zu (Linn/Naxos CKD 572). Das Septett für zwei Klarinetten, zwei Fagotte und zwei Hörner op.71 schrieb er angeblich mozärtlich schnell herunter, in „nur einer Nacht“, es klingt auch ganz wie von Mozart, hebt luftig an wie nur je eine Serenadenmusik und endet mit einem geschnatterten Marsch: das Leichte, wie es schwer zu machen ist! Alec Frank-Gemmill und Harry Johnstone, die Hornisten der Scottish Chamber Orchestra Wind Solists, lassen es sich nicht verdrießen, sie spielen ventillos auf Naturhörnern, herrlich geschmeidig, süß und reich im Klangbild, symbiotisch verschmelzend mit dem ihrer Kollegen. Noch in Bonn entstanden ist das Oktett Es-Dur op.103, später umgearbeitet in ein Streichquintett, mit dem kraftvoll zupackenden Finale. Außerdem bieten die schottischen Bläsersolisten drei perfekt gespielte Beethovensche Gelegenheitskleinigkeiten dar, selten oder nie zu hören. Ein Album, das den großen Komponisten für ein zauberhaftes Stündchen vom Sockel holt, um ihn in seine Zeit zu stellen.

Perfekt gespielt, zum Fremdschämen fad: das Debut der Philharmonix – im Untertitel: „The Vienna Berlin Music Club“ (Deutsche Grammophon/ Universal 4815810). Zwei Berliner Philharmoniker und drei Wiener Philharmoniker taten sich völlig grundlos zu einer Evergreen- Combo zusammen und holten einen in Österreich weltberühmten Pianisten nebst dito Zigeunergeiger hinzu. Für das billige Marketingkonzept können die sieben sicher nichts. Für die glatten, geistlosen Arrangements zeichnen sie aber selbst verantwortlich.

Die Zeit war aus den Fugen gegangen in der großen Violinsonate von Galina Ustwolskaja von 1952, ein Jahr vor Stalins Tod. Das kann nicht nur jeder leicht ablesen an den fehlenden Taktstrichen. Das kann vor allem jeder hören, an dem unerbittlichen Stillstand, den unterdrückten, erstickten, zersplitterten Lamenti, den Fermaten, dem blinden Vorwärts-Marschieren. Als Strawinski das Werk zehn Jahre später kennenlernte, gespielt von Robert Kraft und Nicolas Slonimski, sagte er: „Jetzt habe ich begriffen, was ‚der eiserne Vorhang‘ bedeutet.“ In der Neuaufnahme, die Gewandhauskonzertmeister Andreas Seidel jetzt gemeinsam mit dem Komponisten und Pianisten Steffen Schleiermacher vorlegt (MDG/Naxos MDG 61320552), ist dieses Wissen nicht vom ersten schroffen Ton an präsent - wie es, zum Beispiel, die bekannte ECM Referenzaufnahme mit Kopatschinskaja/Hinterhäuser zelebriert. Die beiden Leipziger marschieren zügig und unaufgeregt los, sie begeben sich in die Tragödie hinein wie in einen offenen Verlaufsprozess, ganz ohne Pathosflor, sogar schön blühend singt diese Geige. Umso härter und tiefer der Fall, um so bitterer die Pausen, das Verlöschen. Eine neue, starke Lesart.

Eleonore Büning, 21.04.2018, RONDO Ausgabe 2 / 2018



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