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N° 1353
13. - 23.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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(c) Schaffler/DG

Christa Ludwig

Präzision, Tiefe, Schönklang

Die große Mezzosopranistin bekam zum 90. Geburtstag auch zwei CD-Boxen mit legendären Aufnahmen überreicht – darauf so manch faustdicke Überraschung.

Einmal angesprochen auf Kolleginnen, die jenseits der Fünfzig einfach nicht von ihrer Profession loslassen können, kam es bei Christa Ludwig wie aus der Pistole geschossen: „Um Himmels willen, ich möchte gar nicht länger singen.“ Denn obwohl sie ihren Beruf liebte, gab es für die Mezzosopranistin durchaus einiges, was sie an ihm störte. Kaum Ferien hätte man. Allzu kalte Getränke und vieles Reden würden sich schnell als Gift für die Stimme entpuppen. „Ich möchte ja auch einmal leben.“, so Ludwig schon 1968. Die gebürtige Berlinerin hatte da gerade ihren 40. Geburtstag gefeiert und bereits sehr vieles erreicht. Doch wer damals befürchtete, dass Christa Ludwig tatsächlich ein Jahrzehnt später in den Ruhestand gehen würde, um das Leben in vollen Zügen zu genießen, wurde glücklicherweise eines Besseren belehrt. Ihren Abschied von der Opernbühne, auf der sie seit ihrem Debüt 1946 als Prinz Orlowsky in „Die Fledermaus“ in Frankfurt am Main in den nächsten knapp 50 Jahren weniger glänzen als vielmehr beeindrucken sollte, gab sie schließlich doch erst 1994. Da stand sie als Klytämnestra in Strauss’ „Elektra“ an der Wiener Staatsoper mit ihren 66 Jahren immer noch im Vollbesitz ihrer gerühmten, dramatischen Gefühlstöne. Kurz zuvor kam das Wiener Publikum auch noch einmal in den Genuss der Liedersängerin Ludwig, die mit ihrem klangüppigen wie sinnlichen Mezzo- und Altregister zu einer Instanz geworden war. Ob nun beim Liedschaffen von Johannes Brahms, von Hugo Wolf oder Gustav Mahler.
Gerade erst, am 16. März, feierte Christa Ludwig ihren 90. Geburtstag. Natürlich muss man der Sängerin, die Zeit ihres allüren- und skandalfreien Künstlerlebens stets selbstkritisch war, auch bei diesem Jubiläum zustimmen, wenn sie auf ihre umfangreiche Aufnahmetätigkeit mit dem für sie sympathischen Selbstbewusstsein zurückblickt: „Manchmal, wenn ich mir zuhöre, sage ich schon zu mir: Christa, du hast doch ganz schön gesungen!“ Neben den großen Wagner-Partien, in denen sie in Bayreuth oder an der New Yorker MET ebenso begeisterte wie als „Leonore“ in Beethovens „Fidelio“ zählt selbstverständlich Richard Strauss´ „Der Rosenkavalier“ zu ihren Paradeopern. Und selbst die ansonsten eher leichtgewichtig angegangene Märchen-Oper „Hänsel und Gretel“ von Engelbert Humperdinck rehabilitierte Ludwig mit ihrem „Hexen“-Auftritt, der „die finstere Schönheit einer schwarzen Messe hat“ (Jürgen Kesting).

Heilige Dreifaltigkeit

Dass Christa Ludwig die Bandbreite vom lyrischen Mezzosopran bis zur hochdramatischen Expressivität auf einem derart hohen Niveau meisterte, verdankt sie nicht zuletzt drei Dirigenten. Von Karl Böhm, der sie 1955 an die Wiener Staatsoper verpflichtet hatte, habe sie die sängerische Präzision gelernt. Herbert von Karajan war es, der bei ihr das Gefühl für das Klangschöne schärfte. Und Leonard Bernstein, dieser Geistesverwandten beim Werk Mahlers, machte sie mit der Tiefe der Musik und des Textes vertraut. Viel später taufte die Ludwig die drei Pinien in ihrem südfranzösischen Domizil auf die Namen „Böhm“, „Karajan“ und „Bernstein“ – als kleines Dankeschön an ihre Mentoren.
Umgekehrt überschüttete gerade Bernstein sie regelmäßig mit Hymnen – wie mit dem Superlativ „Sie ist einfach die Beste“. Dem Traumpaar Ludwig/Bernstein begegnet man auch in den beiden CD-Boxen, die Ludwigs Karriere ab den 1950er Jahren dokumentieren. Die Box „The Complete Recitals On Warner Classics“ präsentiert die Originalalben vor allem der Liedsängerin aus ihrer EMIZeit. Weshalb selbstverständlich die Gänsehaut- Einspielung von Mahlers „Lied von der Erde“ unter Otto Klemperer nicht fehlen darf. Neben einigen unveröffentlichten Aufnahmen (darunter drei Berg-Lieder von 1968) gibt es zudem erstmals auf CD einen Live-Mitschnitt, der zuerst bei Sony auf Vinyl erschienen war. Da gaben Ludwig und Bernstein am Klavier im Wiener Konzerthaus 1972 u.a. die „Zigeunerlieder“ von Brahms. Und gleich bei den Eröffnungstakten von „He, Zigeuner“ knallt Bernstein ruppig in die Tasten, als säße er auf einem Ochsenwagen. Auch im Verlauf kommt hier nichts von der gepflegt volksmusikalischen Kunstlied-Stange, mit einer Ludwig, die überhaupt wieder sagenhaft in ihrem Element ist.
Zahllose Filetstücke aus der Schallplattenkarriere bei der Deutschen Grammophon zieren hingegen die „Christa Ludwig Edition“. Angefangen von der Bach- und Mozart-Sängerin über ihre Bayreuther Sensationsauftritte etwa als „Brangäne“ bis hin natürlich zur Mahler-Instanz. Und zwischendurch erlebt man sie im Gespräch mit Thomas Voigt als eine glückliche Künstlerpersönlichkeit im Ruhestand. Wobei: „Das Einzige, was mir fehlt, seit ich nicht mehr singe, ist dieser Schwall der Musik, der Klang, der über einen fällt, wenn man im Orchester sitzt und wartet, bis man drankommt. Und das ist absolut ein erotisches Erlebnis. Das ist ungeheuerlich.“

Neu erschienen:

The Christa Ludwig Edition (12 CDs)

DG/Universal

The Complete Recitals On Warner Classics (11 CDS)

Warner Classics

Biografie:

Christa Ludwig: „Leicht muss man sein“ – Erinnerungen an die Zukunft, 216 S.

Amalthea-Verlag

Frau der klaren Worte

„Schon zu meiner Zeit gab es nur zwei Dirigenten, die etwas von Stimmen wussten: Karl Böhm und James Levine. Karajan hat sich bei Stimmen nicht ausgekannt. Er hat sie nur geliebt.“ (RONDO 1/2008)

Zur „#MeToo-Debatte“: „Das alles ist so ein Quatsch. Dass 40 Jahre später einer den James Levine anklagt und der nun nicht mehr dirigieren darf, das ist eine Hexenjagd.“ (WAZ, 9. März 2018)

„Ich bin jetzt sehr faul, aber ich finde, ich habe mir das Recht erarbeitet, faul sein zu dürfen und über andere Dinge als meine Stimmbänder nachdenken zu dürfen.“ (Interview mit James Jolly, 2017)

Guido Fischer, 14.04.2018, RONDO Ausgabe 2 / 2018



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