Startseite · Interview · Blind gehört
Gerade legten die fünf Musiker der ungewöhnlichen Besetzung mit zwei Blockflöten, Geige, Cello und Klavier mit „Folk Tunes“ ihre erste CD bei der Deutschen Grammophon vor. Gegründet wurde die „Band“ vor fünf Jahren von Andrea Ritter und Daniel Koschitzki, die zuvor dem renommierten Blockflötenensemble Amsterdam Loeki Stardust Quartet angehörten und neben Spark weiterhin als Solisten tätig sind. Beim Anspielen der CDs besprachen sich die beiden anfangs leise wie in einer Quizshow, bevor sie dann, wenn die Musik aus war, eine abgestimmte Antwort gaben. Später kommentierten sie auch während der Musik.
Andrea Ritter (AR): Das klingt nach einer mittelalterlichen Estampie – so etwas haben wir mit Loeki auch gespielt, das macht total Spaß. Durch die Bordunklänge und die improvisationsartigen Linien, die man darüber spielt, eignet sich das sehr für Blockflötenensembles. Und man kann, vor allem wenn man in Kirchen spielt, wunderbare Farben und Klanglandschaften schaffen. Daniel Koschitzki (DK): Mich hat es auch sehr angesprochen. Dass es Loeki nicht ist, haben wir beide sofort gehört, dafür kennen wir den Klang der Gruppe zu gut. Ich glaube zwischendurch gehört zu haben, dass eine Frau atmet – das klingt anders als bei einem Mann. Und es hat insgesamt viel weibliche Energie. Ich müsste mich sehr irren, wenn es nicht ein weibliches Flötenquartett wäre. [Stimmt!] Da gibt es nicht so viele. Nicht Flautando Köln? Dann ist es das Quartetto con Affetto. Gut gemacht, die improvisatorischen Einlagen sind fantasievoll gestaltet. AR: Blockflötenquartett spielen wir gar nicht mehr. Dieses Repertoire haben wir mit Loeki ausgelotet, und als das auseinanderging, war klar, es musste was Neues kommen. Etwas ganz anderes. DK: Wir wollten zeigen, dass die Blockflöte noch ganz andere Möglichkeiten hat.
AR: Das ist eines der ganz großen Bravourstücke für Blockflötisten. ... Diese Stelle bietet die absolute Höchstschwierigkeit. Super gespielt. DK: Das ist Dorothee Oberlinger, das erkennt man an der blitzsauberen Technik, am Timing, an der Phrasengestaltung, es gibt nicht viele, die dieses Stück so spielen können. Und ich bin mir sicher, das stammt von ihrer ersten Vivaldi-Platte. Sie hat das Konzert vor kurzem nochmal aufgenommen, und da hört man, dass sie über die Jahre noch etwas expressiver geworden ist. Aber auch dies hier ist eine unglaublich schöne Referenzaufnahme. AR: Das ist tolle Musik, aber ich bin schon im Studium in Richtungen gegangen, die noch nicht besetzt sind und wo ich mich besser ausdrücken kann. Ich habe früh die Zusammenarbeit mit Pianisten gesucht, um zum Beispiel neoromantische Musik aus der Mitte des 20. Jahrhunderts zu spielen. DK: Das ist ein kleines, aber sehr feines Repertoire, das wir beide gelegentlich auch im Duo auf die Bühne bringen – ich habe auch Klavier studiert.
AR: Michala Petri erkennt man am ersten Ton. Sie hat eine ganz prägnante Art zu spielen. Und ich finde es großartig, wie sie ständig versucht, das Repertoire zu erweitern. DR: Sie ist die einzige, die der Blockflöte als solistisches Instrument außerhalb des Barockrepertoires ein großes Podium verschafft hat. Ich habe sie zwei, drei Mal live gesehen – sie ist allein schon technisch über jede Kritik erhaben. Und sie spielt unglaublich sauber, was verdammt schwer ist auf der Blockflöte, wenn es in entlegene Tonarten geht – da muss man mit halben und Viertellöchern arbeiten. Da kann man nur sagen: Hut ab. AR: Diesen Grieg zu spielen, reizt mich jetzt nicht. Aber aus Michala Petris Kompositionsaufträgen für Blockflöte und Orchester sind einige sehr schöne Stücke entstanden.
DK: Das ist das World Quintet, von denen haben wir schon einige CDs im Tourbus angehört. Die sind super. Unterhaltsam, mit sehr viel Anspruch und cleveren Arrangements. Jazz ist ein Universum für sich. Mein Bruder hat Jazz studiert, da habe ich etwas Einblick bekommen in die Komplexität von Jazz-Improvisation. Ich finde es ganz schwierig, sich als klassischer Musiker ex hohlo Baucho anzumaßen, man könne das. Das geht meist in die Hose. Wir fünf haben uns ganz klar entschieden: Vom Jazz lassen wir die Finger. AR: Wir improvisieren gern in den Proben und wenn wir ein neues Stück erarbeiten, aber im Konzert ist alles ausnotiert. Natürlich gibt es Freiheiten in Überleitungen zwischen den Stücken oder in Kadenzen, aber das sind eher kleine Teile. DK: Der Schlagzeuger dieser Gruppe ist klasse. Als wir angefangen haben mit Spark, haben uns viele Komponisten geraten, ein Schlagzeug hinzuzunehmen. Aber für uns besteht der Reiz darin, die Energie eines Schlagzeugs auf unterschiedliche Instrumente zu verteilen, statt zu sagen: Das Schlagzeug sorgt für den Beat.
DK: Die Oboe ist wahrscheinlich echt, aber der Rest kommt aus dem Synthesizer, oder? [laut Booklet nicht]. Dann ist es sehr stark nachbearbeitet. Das ist produziert, um die Klassik-Charts zu stürmen. Ich fand das Minimalistische am Anfang ganz schön, aber in dem Moment, wo der Mönchsgesang dazukam, war es vorbei. (lacht) AR: Wobei wir nichts gegen Synthesizer oder Elektronik haben. Die werden wir bestimmt noch mal einsetzen, wir wollen uns in alle Richtungen ausprobieren. Aber dann wird es anders klingen als das hier.
AR: Das hat Loeki auch gespielt. DK: Ich suche noch immer nach der Melodie. Ah, jetzt hab ich’s auch. Prinzipiell finde ich, dass man mit Arrangements vorsichtig sein muss, und ich weiß nicht, ob wir uns an diesen All-Time- Evergreen heranwagen würden. Ich finde es clever, dass man zunächst die Melodie nicht wahrnimmt und sie bis zum Schluss eingegraben ist in so eine Klangfläche, das ist raffiniert gemacht. Ist doch das Radio String Quartet? Von denen haben wir alle CDs, nur nicht diese neueste. Das ist eine sehr innovative Truppe, die haben tolle Arrangements. Sie sind durch ihr Label ACT vor allem im Jazzbereich unterwegs, könnten aber genauso gut auf Klassik- Festivals spielen. Das Publikum ist erstaunlich offen für Neues, ist unsere Erfahrung. Wir machen das, was wir uns als wirklich zeitgenössische Musik vorstellen. Wer uns im Konzert erlebt oder unsere Platten mit aufmerksamen Ohren hört, wird gar nicht auf die Idee kommen, unsere Musik als Pop oder Jazz zu bezeichnen. Wir spielen Klassik, aber mit der Energie der heutigen Zeit.
Arnt Cobbers, 30.11.1999, RONDO Ausgabe 6 / 2012
Das Blatt hat sich gewendet
Diese neue Noten-App aus Spanien verspricht Reaktionen in Echt-Zeit auf individuelles Spiel – und […]
zum Artikel
Jenseits der Liturgie
Mit seinen Ensembles findet der Dirigent in Franz Schuberts mittlerer „Missa Solemnis“ in […]
zum Artikel
Ihre Wochenempfehlung der RONDO-Redaktion
An dieser Stelle finden Sie Inhalte eines Drittanbieters, die Sie mit einem Klick anzeigen lassen können.
Mit dem Laden des Audioplayers können personenbezogene Daten an den Dienst Spotify übermittelt werden. Mehr Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.
Alexander Skrjabins frühe Werke sind in ihrer Tonsprache noch stark von Chopin und Liszt beeinflusst. Die Préludes op. 13, zeigen deutliche Bezüge zu Chopin, aber auch eine visionäre Originalität, die seine zukünftige Modernität vorwegnimmt. In der berühmten Étude in cis-Moll hört man komplexe Harmonien, während die epische Leidenschaft der Fantasie in h-Moll bereits den kompositorischen Fortschritt andeutet. Die italienische Pianistin Daniela Roma hat in ihrem Heimatland und den […] mehr