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Richard Wagner als geistigen Vorläufer von Film und Fantasy zu bezeichnen, würde von vielen Wagnerianern als Blasphemie statt als Lob verstanden werden. Schade eigentlich: Schließlich gilt es als ausgemacht, dass „Der Ring des Nibelungen“ J.R.R. Tolkiens Kultroman „Der Herr der Ringe“ direkt beeinflusste. Und da Wagners harmonische Sprache sowie die von ihm weiterentwickelte Leitmotivtechnik die Grundlage für den Hollywoodsound schufen, darf er heute mit Recht als Großvater der Filmmusik gelten. Aktuell bestes Beispiel für Wagners Einfluss auf den Film: die Arbeit des Regisseurs Peter Jackson und des Filmkomponisten Howard Shore an der Verfilmung von J.R.R. Tolkiens „Hobbit“.
Schon die Musik zu Jacksons „Herr der Ringe“ war mit 12 Stunden komponiertem Material ein Unternehmen, dessen wagnerianische Ausmaße ohne das Vorbild kaum denkbar gewesen wären. Die Hobbit-Trilogie, die am 13. Dezember mit „An Unexpected Journey“ star- 2001 © Ullsteinbild Ian McKellen als Gandalf in „Der Herr der Ringe – Die Gefährten“ tet und im Juli 2014 abgeschlossen sein wird, wird in den Dimensionen kaum dahinter zurückbleiben.
Auf die Filmmusikfans wird also eine ganze Flut neuer Musik hereinbrechen – und sie scheinen nicht schlechter dafür gewappnet zu sein, als es eingefleischte Wagnerianer wären. Klassikfans, die Filmmusik noch immer als minderwertiges Genre ansehen, würden ihren Hochmut verlieren, wenn sie betrachteten, mit welcher Akribie die Cineastengemeinde die ganz aus dem Geist des 19. Jahrhunderts komponierte und mit einem klassischen Sinfonieorchester eingespielte Partitur unter die Lupe nimmt. Private Webseiten wie die englischsprachige amagpiesnest.com bieten nicht nur eine Track-für-Track-Analyse der gesamten Partitur, sondern spüren auch bis zu den subtilsten Anklängen Shores klassischen Vorbildern nach. Sogar die kommerzielle Plattform wie herr-der-ringe-film.de scheut sich nicht, eine umfassende Darstellung jener ethnischen Instrumente anzubieten, mit denen Shore die verschiedenen Völker Mittelerdes charakterisiert. Von Produzentenseite wurde mit Doug Adams sogar ein ausgebildeter Musikwissenschaftler damit beauftragt, den Kompositionsprozess publizistisch zu begleiten. Erste Frucht der Zusammenarbeit war das Buch „The Music of the Lord of the Rings Films“, das eine fassliche Analyse der Filmmusik auf anspruchsvollem Konzertführerniveau bietet – wobei eine weitere Publikation zu den Hobbit-Filmen folgen soll.
Während die Handlung dank Tolkiens Vorlage bereits feststeht, bleibt den Freunden der Filmmusik die Spannung bis zu den Premieren ab Dezember 2013 erhalten: Sie werden neue Variationen des gruseligen Gollum-Motivs kennenlernen, dem neuen Thema für den Drachen Smaug entgegenfiebern und beobachten, welche Veränderungen das nostalgisch-folkloristische Thema der Hobbits im Laufe der Abenteuer durchmacht. Auch wenn Shore dabei weder in Instrumentation noch in der Leitmotivtechnik an Wagners Komplexität heranreichen wird (und es als treuer Diener des Bildes auch nicht versuchen sollte), so können sich auch Wagnerianer darüber freuen, wie man Handwerk und szenische Visionen ihres Idols glücklich aufgreifen kann, ohne den Meister bloß zu kopieren.
Carsten Niemann, 30.11.1999, RONDO Ausgabe 6 / 2012
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