(c) Siegfried Lauterwasser/DG
Der Abstieg begann 1 9 8 4 : Der Anlass für den berühmten Krach zwischen den Berliner Philharmonikern und ihrem Chef Herbert von Karajan, der zum Ende des Vertrags führte, war lächerlich. Doch am Zündfunken einer Nachbesetzung entfachte sich der ganze aufgestaute Frust dieses überlebensgroßen und erschöpfenden musikalischen Dauerlaufs. „Das Imperium Karajan fällt zusammen“, titelte das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ damals und widmete dem „Aufstand gegen Karajan“ sogar seinen Aufmacher. Das Imperium Karajan, das mit dem Fleiß und Ehrgeiz des jungen Kapellmeisters in Ulm und Aachen angelegt wurde, sich trotz doppelter Parteimitgliedschaft im Dritten Reich allein aufgrund Wilhelm Furtwänglers Ab neigung noch nicht voll entfalten durfte – dieses Imperium setzte zum Gipfelsturm in der Nachkriegszeit an. Da suchten die verwaisten Berliner Philharmoniker für eine USA-Tournee einen Dirigenten. Und der frisch von Bruno Walter in Wien rehabilitierte Herbert von Karajan war zur Stelle. Was folgte, war ein heftiger, aber kurzer Flirt (Karajan ließ das Orchester wissen, man könne mit ihm „nur über einen lebenslänglichen Vertrag“ verhandeln) und eine auf Lebenszeit ausgerufene Liebesheirat.
Zu beiderlei Gewinn. Denn der Österreicher bediente zwei Sehnsüchte der Nachkriegsgesellschaft: Er kultivierte eine über jeden Makel erhobene Kunst, deren Perfektionsanspruch er sowohl darstellte als auch wie ein Hohepriester verwaltete. Und er glänzte in der High Society, deren Protagonisten Karajan ebenso virtuos zu dirigieren und nutzbar zu machen wusste wie die Musiker. Sein Lebensprojekt war wahrscheinlich seine Liebe zur Technik – doch nicht die Sportwagen, Jachten oder Düsenjets, mit denen er sich publikumswirksam als „Jet- Setter“ inszenierte. Sondern zur Aufnahmetechnik – denn die sollte ihn unsterblich machen. Als seine Kollegen noch den Konzertsaal für die wichtigste Arena hielten, feilte Karajan bereits mit dem eigens für ihn gegründeten Philharmonia Orchestra London an einer Diskografie. Und brachte seine Erfahrungen in der medialen Produktion und Verwertung (nicht allein) zu den Berliner Philharmonikern mit – und damit Tantiemen, Engagements, Netzwerke. Als Jahrhundertdirigent wollte er mit dem Jahrhundertklangkörper ein Repertoire für die Ewigkeit hinterlassen. Mehr als 300 Aufnahmen schaffte er allein mit diesem Orchester. Doch mit dem Sturz des übergroßen Maestro schien auch der Nimbus des Unantastbaren verblasst. Sein Wunsch erfüllte sich nicht: Nach Jahrzehnten, in denen Karajan-Aufnahmen als Synonym für die „Königsklassik“ galten und die Regale übersättigten, wurden sie vom Nachschub überholt und aussortiert.
Doch die offenen Rechnungen sind verjährt, und es könnte die Zeit gekommen sein, das Werk des Dirigenten abseits der Stilisierung und Überhöhung neu zu bewerten. Etwa seine Suche nach einem Orchesterklang, in dem sich die Instrumente ohne menschlich- technische Reibungen und Knacklaute als Register einer großen sinfonischen Orgel ineinanderfügen. Diese Bestandsaufnahme ermöglicht nun eine opulente Edition, die im kunstledernen Schrein sämtliche Aufnahmen für die Deutsche Grammophon und Decca vereint: die frühen Rundfunkaufnahmen ebenso wie sein Opus Magnum aus den 60er- bis 80er-Jahren, etwa die Trias der großen „B-Romantiker“, Mahler, die klassische Moderne zwischen Strauss und Strawinski, ergänzt um die Operneinspielungen allein auf 70 CDs. Dazu gesellen sich die Konzert- und Opernaufnahmen auf DVD. Der Beethovenzyklus von 1963 und der „Ring des Nibelungen“ werden audiophil auf Bluray kredenzt, legt man deren Dauer mit um, macht das für jeden Tag des Jahres eine Scheibe. Hätte Karajan seiner Aufnahmetätigkeit ein Monument setzen wollen – so hätte es wahrscheinlich ausgesehen.
Carsten Hinrichs, 25.11.2017, RONDO Ausgabe 6 / 2017
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