(c) Felix Broede/DG
Anfang des Jahres gastierte Daniel Barenboim mit der Berliner Staatskapelle und sämtlichen Sinfonien von Bruckner in der New Yorker Carnegie Hall. Und weil Barenboim ein kommunikativer Mensch ist, richtete er einige persönliche Worte ans Publikum. Denn fast auf den Tag genau gab er dort 60 Jahre zuvor sein Carnegie Hall-Debüt. Im Alter von zarten 14 Lenzen spielte er Prokofjews 1. Klavierkonzert und hatte dabei keinen Geringeren als Leopold Stokowski zur Seite. Nun hat es vorher und nachher zahllose Wunderkinder gegeben, die nach einem solchen prestigeträchtigen Auftritt den Erwartungen nicht standhalten konnten und wieder in der Versenkung verschwanden – nicht so Daniel Barenboim. Zumal er bereits früh solche Legenden wie Wilhelm Furtwängler, Nadia Boulanger und Edwin Fischer zu seinen Förderern, Lehrern und Bewunderern zählen konnte. Vom Carnegie-Debüt gibt es keine Aufnahme, dafür findet sich jetzt die allererste Schallplatteneinspielung des 13-Jährigen in der Box „The Solo Recordings On Deutsche Grammophon“, mit der man sich für Barenboims 75. Geburtstag am 15. November schon mal vorwärmt. Doch statt sich direkt am spektakulär Effektvollen à la Liszt zu versuchen, spannte Barenboim damals lieber gekonnt den angenehmen und fingerfreundlichen Bogen von Johann Christian Bach über Mozart bis zur einer Kabalewsky- Sonatine. Dieses ungewöhnlich mit Hits und Raritäten bunt gemischte Repertoire ließ zudem vorausschauend jenen enormen Appetit erahnen, mit dem der Stardirigent und -pianist bis heute die Musikgeschichte bis hin zu Werken seines (verstorbenen) Freundes Pierre Boulez aufarbeitet.
Wer dementsprechend pausenlos nicht nur auf dem Konzertpodium oder im Orchestergraben steht, sondern auch vor den Studiomikrofonen, kann bald einen riesigen Output auf Tonträger vorweisen. Dass die Ergebnisse dabei schon mal eher einem „preußischen Pflichtbewusstsein und weniger einer ästhetischen Wahlverwandtschaft“ (Ulrich Schreiber) entsprungen sind, dokumentiert die DG-Box dabei genauso ungeschönt wie die noch umfangreichere Sony-Box mit Einspielungen auch des Dirigenten und Kammermusikers Barenboim. Die Souveränität, mit der er schon immer bedeutendste Klavierwerke abrufen und in all ihren Binnenspannungen ausloten konnte, zeigt sich etwa in der Gesamteinspielung der Beethoven-Sonaten aus den frühen 1980er Jahren.
Bei der 2014 begonnenen Schubert-Sonaten-Serie bleibt hingegen vieles rein an der Oberfläche und klischeehaft biedermeierlich. Großartig fällt wiederum Barenboims Gespür für die Variationsdramen von Brahms sowie die Chopinschen Wunderklangräume in Form seiner „Nocturnes“ aus. Bei der Sony-Retrospektive nimmt Schubert nicht nur vom Umfang her einen großen Platz ein. Barenboims Gesamteinspielung der Sinfonien mit den Berliner Philharmonikern sind die ideale Einladung für alle, die dieses Kernrepertoire einmal vorbildlich transparent und ohne falsche Wiener Gefühlsduselei ausmusiziert erleben wollen (wohingegen Barenboims Einspielung der Beethoven- Sinfonien mit seiner Staatskapelle bei Warner deutlich routinierter ausfällt). Weitere Highlights der Sony-Box sind zudem die Beethoven- Klavierkonzerte mit Artur Rubinstein, ausgewählte Elgar-Sinfonien sowie die Schönberg- und Berg-Einspielungen, die Barenboim als Pianist mit Boulez am Pult verwirklichen konnte.
Guido Fischer, 16.09.2017, RONDO Ausgabe 4 / 2017
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