Startseite · Interview · Blind gehört
(c) Anita Schmid
Bariton Georg Nigl, 1972 geboren, ist einer der profiliertesten Sänger Neuer Musik. Uraufführungen von Rihm, Dusapin, Cerha, HK Gruber und Sciarrino führten ihn rund um die Welt. Als Kind kam er – auf eigenes Drängen und gegen den Rat der Eltern – zu den Wiener Sängerknaben. In der ehrwürdigen Philips- Gesamtaufnahme von Mozarts „Bastien und Bastienne“ singt er bereits eine der Titelrollen. Ende des Jahres ist er in Hamburg als Wozzeck zu erleben – und ab Januar in der Titelrolle von Dallapiccolas „Prigioniero“ (Regie: Andrea Breth) in Brüssel und Stuttgart. Nigl lebt in Wien.
Ein älterer „Orfeo“. Vom Bläserklang her würde ich sagen: 70er Jahre. Sehr weich, auch im Raumklang. Nicht so direkt wie heute und ohne schräge Akzente. Es ist das, was ich Schönklang nennen möchte. Der Dirigent schlägt ein langsames, schönes Schritttempo an. Vielleicht ein bisschen zu getragen. Gardiner, würde ich sagen, ist es sicher nicht. Denn der hat es mit einem Tenor besetzt. Diese Stimme dagegen ist zwar sehr schön, kommt aber sehr vom Hals her, mit wenig Körper. Ganz so, wie man früher dachte, dass Alte Musik klingen muss. Was, das ist doch ein Tenor?! Anthony Rolfe Johnson, würde ich sagen, klang heller. Was, das sind Rolfe Johnson und Gardiner??! Ich fass’ es nicht. Er hat es in höherer Instrumenten- Stimmung aufgenommen als ich sie gewohnt bin, deswegen kenne ich die Aufnahme nicht gut. Aber ich muss doch sagen: Das geht ja gut los!
Da wühlt sich jemand durch den Morast, da kennt jemand seinen Bach. Und da hat es außerdem jemand satt, dass man ihm sagt, er hätte mit der Tradition gebrochen. Bei Neuer Musik höre ich nicht immer das ganze Umfeld, weil die Stücke selber schon so viel Arbeit machen. Deswegen weiß ich nicht, welches Stück von Wolfgang Rihm das hier sein mag. Ich kenne vor allem seine Instrumentalmusik – und natürlich die Opern, denn ich schulde ihm, dass ich für „Jakob Lenz“ als „Sänger des Jahres“ ausgezeichnet wurde. Eine dankbare Musik, für mich jedenfalls war sie es. Also, ich würde mal sagen: ein eher früher Rihm, aus der ‚Tutuguri-Zeit‘ – in der er das gleichnamige Ballett geschrieben hat. Treffer? Endlich.
Neos/harmonia mundi
Als JPC- und Amazon-Partner verdienen wir an qualifizierten Verkäufen.
An dieser Stelle finden Sie Inhalte eines Drittanbieters, die Sie mit einem Klick anzeigen lassen können.
Mit dem Laden des Audioplayers können personenbezogene Daten an den Dienst Spotify übermittelt werden. Mehr Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.
Na, jetzt werde ich gleich sentimental! Das sind natürlich die Wiener Sängerknaben. Aber nicht mit mir. Mein Gott, ich habe seit 20 Jahren keine Aufnahmen mehr gehört. Kannte die Sängerknaben aber, bevor ich hin wollte. Ich hatte so eine kleine Langspielplatte mit 56 Umdrehungen. Mit Kinderliedern. Ich höre, dass es die Wiener sind, am polierten Hochglanz der Stimmen. Die Cruzianer in Dresden, zu meiner Zeit, klangen etwas aufgerauter, mit hauchigem Klang. Dagegen ist mein Klang, und zwar bis heute, sehr direkt geblieben. Inzwischen geht der Geschmack eher in Richtung runder Stimmen. Ich habe nicht diesen Rotwein- Klang, sondern eher Weißwein. Da ich bei den Sängerknaben angefangen habe, stehe ich bereits 35 Jahre lang auf der Bühne. Eigentlich 37, mit 2 Jahren Unterbrechung, als der Stimmbruch kam. Was, die Aufnahme ist von 2004? Erstaunlich, dass sie so gut ist, denn dem Chor sind auch in Wien die Knabenstimmen inzwischen weggebröckelt. Es gibt ein extremes Nachwuchsproblem. Zu meiner Zeit war jeder Sänger zugleich Solist. Heute sind sie froh, wenn sie vier, fünf haben.
Ja, das ist Peter Schreier in bester Zeit. „Lieböhh“ singt er. Aber sehr schön! Der Arme – nach Fritz Wunderlich war das kein einfacher Job. Ich erinnere mich, dass ich meine erste große Liebe einst in den Wiener Musikverein eingeladen habe, als Schreier die Matthäus-Passion sang und zugleich dirigierte. – Na, das klingt toll! Er widerspricht allen Vorwürfen, die man Tenören als Lieder-Sängern machen kann. Ansonsten ist natürlich auch Wunderlich immer noch sehr präsent, sogar für mich als Bariton. Aus Graz gibt es da einen Mitschnitt der „Schönen Müllerin“, wo er vom ersten Lied an eine ganz erstaunliche Melancholie verströmt. Sehr gewagt, sehr klug. Erstaunlich.
Brilliant/Edel
Als JPC- und Amazon-Partner verdienen wir an qualifizierten Verkäufen.
An dieser Stelle finden Sie Inhalte eines Drittanbieters, die Sie mit einem Klick anzeigen lassen können.
Mit dem Laden des Audioplayers können personenbezogene Daten an den Dienst Spotify übermittelt werden. Mehr Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.
Das ist doch die Hilde! Die erkennt man einfach, das ist ja das Tolle an großen Sängern. Sie hatte noch mit 85 Jahren, als ich bei ihr Unterricht bekam, die Höhe und sang mir vor. In ihrer großen Zeit hat sie an einem Tag als „Aida“ in Köln und am nächsten als „Tosca“ in Wien auf der Bühne gestanden. Mit der Begründung, Tosca seien netto nur etwa 25 Minuten. Freilich hat die Karriere dann nicht sehr lang gedauert. Sie unterrichtete nach der Hilde Zadek-Methode, will sagen: Jedem das Seine! Bei jedem geht es um dessen eigenes Material. Das ist ein großer Unterschied zu den grässlichen Meisterkursen, die heute üblich sind. Da wird hingerichtet. Die Hilde hat immer aufgebaut. Ich habe bei ihr gelernt, dass Fehler die besten Lehrer sind. Auch die Fehler der andern. Übrigens, das ist „Ariadne“. Not my cup of tea.
(Bevor der Sänger einen Ton singt:) Ich glaub’, das ist Erich Kunz! Also die alte Karajan-Aufnahme. Die Geigen klingen so komisch! Irgendwie hässlich flach, aber trotzdem wunderschön zusammen. Karajan hat hier etwas ganz richtig gemacht: Er versucht, einen ‚Leopoldstädter Vorstadtklang‘ zu produzieren. Er nimmt die Streicher dünn, dadurch kriegt’s etwas geradezu Schwebendes. Tja, und der Kunz: Ich habe ihn noch kennengelernt. Als ich als Sängerknabe in „Tosca“, mit Pavarotti, den Ministranten sang, saß da ein alter Herr immer auf der Seitenbühne, der als Mesner besetzt war. „Singst du nur das?“, habe ich ihn gefragt. „Nein, ich habe hier über 1000 Mal Papageno gesungen“. „Glaube ich dir nicht!“ (lacht.) Er war vom Stil her ein Volkssänger im besten Sinn. Das macht ihn einzigartig. Ich bin stolz, dass ich ihm als Papageno in Wien einmal nachfolgen konnte. Ein ganz toller Sänger.
Warner
An dieser Stelle finden Sie Inhalte eines Drittanbieters, die Sie mit einem Klick anzeigen lassen können.
Mit dem Laden des Audioplayers können personenbezogene Daten an den Dienst Spotify übermittelt werden. Mehr Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.
Die „Pathétique“ habe ich letztmalig mit 18 Jahren gehört. Bin immer in der Nacht spazieren gegangen, wenn ich traurig war. Am Westbahnhof hab ich den letzten Zug angeschaut, wie die Leute ankommen oder sich verabschieden. Und dazu die „Pathétique“ gehört. Dann am Hurenviertel vorbei zum Haus neben der Klimt-Villa in Hietzing. Da war ich Hausmeister. Den Klang hier kann ich nicht recht verorten. Aber ich höre, wie die Geigen zu ‚sprechen‘ verstehen. Evgeny Mravinsky? Ich hätte es nicht gedacht. Tschaikowski, muss ich zugeben, ist mir etwas fremd geworden. Eine gute Sprache zum Singen, das Russische! Ansonsten: richtige Ich-Musik, fast zu sehr. Das Ich schreit mir zu vehement.
Das ist der Christian. Ein schwieriges Lied, hier gleich am Anfang. Sogar ein Missverständnis, weil es mit einer Fanfare beginnt, es singt aber ein alter Mann. Wie schön Christian Gerhaher das hier abdämpft, zeigt auch, dass er mit Leuten wie Nikolaus Harnoncourt gearbeitet hat, die sich die Noten immer ganz genau angeschaut haben. Es tut mir Leid, dass ich ihn so lange nicht mehr gesehen habe, weil ich ihn wahnsinnig gern zum Lachen bringe. Er ist einer unserer großen Stars heute. Und doch ist es für mich eine offene Frage, ob das Weiterdenken von Traditionen eigentlich sinnvoll ist. Außer wenn’s so gesungen wird wie hier! Ganz was anderes: Die Mörike-Lieder von Hugo Wolf sind die beste Aufnahme von Dietrich Fischer- Dieskau. Mit Daniel Barenboim am Klavier.
Sony
Als JPC- und Amazon-Partner verdienen wir an qualifizierten Verkäufen.
An dieser Stelle finden Sie Inhalte eines Drittanbieters, die Sie mit einem Klick anzeigen lassen können.
Mit dem Laden des Audioplayers können personenbezogene Daten an den Dienst Spotify übermittelt werden. Mehr Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.
Kai Luehrs-Kaiser, 09.09.2017, RONDO Ausgabe 4 / 2017
Französische Afro-Amerikanerin
Clarté und Frische im schwarzen Jazzgesang bringt diese Sängerin zur […]
zum Artikel
Ein Platz im Panthéon
Anlässlich seines 150. Todestages rufen zahlreiche Neuaufnahmen und Wiederveröffentlichungen den […]
zum Artikel
Hinterm Pavillon, so schön!
„Europa“, das mag als Thema durchaus großkariert erscheinen. Die Musikfestspiele Potsdam […]
zum Artikel
Ihre Wochenempfehlung der RONDO-Redaktion
An dieser Stelle finden Sie Inhalte eines Drittanbieters, die Sie mit einem Klick anzeigen lassen können.
Mit dem Laden des Audioplayers können personenbezogene Daten an den Dienst Spotify übermittelt werden. Mehr Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.
Alexander Skrjabins frühe Werke sind in ihrer Tonsprache noch stark von Chopin und Liszt beeinflusst. Die Préludes op. 13, zeigen deutliche Bezüge zu Chopin, aber auch eine visionäre Originalität, die seine zukünftige Modernität vorwegnimmt. In der berühmten Étude in cis-Moll hört man komplexe Harmonien, während die epische Leidenschaft der Fantasie in h-Moll bereits den kompositorischen Fortschritt andeutet. Die italienische Pianistin Daniela Roma hat in ihrem Heimatland und den […] mehr