Startseite · Interview · Gefragt
(c) Andreas Greiner-Napp
Es ist ein heißer Spätsommertag, an dem wir Katharina Bäuml treffen, doch noch sengender geht es auf der CD zu, die vor uns auf dem Tisch des Cafés im angesagten Prenzlauer Berg liegt: Wo man auch hinhört, lodert, brutzelt, raucht und glüht es, wobei es mal die Liebes- und mal die Höllenflammen sind, welche die Musiker besingen. Die Scheibe ist als ein buchstäblich flammendes Plädoyer für eine Musikepoche gedacht, die noch immer am Rande des klassischen Musikbetriebes steht: die Renaissance. Und sie ist zugleich ein weiterer Versuch, eine Instrumentengruppe zu rehabilitieren, die in der Musik der Zeit eine tragende Rolle spielte – nämlich die Doppelrohblattinstrumente, allen voran Katharina Bäumls eigenes Instrument, die Schalmei.
Die Renaissancemusik kenne sie zwar seit ihrer Kindheit, erzählt Bäuml, doch der professionelle Weg zu Instrument und Epoche habe für sie über die klassische Oboe geführt. Neugier darauf, wie wohl Stücke des barocken Repertoires wie die Matthäuspassion auf den originalen Instrumenten geklungen haben könnten, ließ sie dann zunächst die Barockoboe erlernen – ein Instrument, das, wenn man es ernst nehme, bereits eine sehr deutlich andere Spieltechnik und Musizierhaltung erfordere als die klassische Oboe. Doch gerade diese Herausforderung reizte die Perfektionistin: Von hier aus führte der logische Schritt zur nächst früheren Epoche mit ihren noch schwieriger zu erobernden Instrumenten: „Ich war so begeistert davon, einzutauchen in diese Welt der Klänge“ erinnert sich Bäuml, „dass es eigentlich ganz nahe lag zu fragen: Was hat eigentlich Bach gehört, als er Kind war? Was hat Händel gehört und was hat es eigentlich mit dieser Renaissancemusik auf sich, die bis dahin den Charakter des etwas Rustikaleren hatte?“ Es waren insbesondere die Zweifel daran, dass die Instrumente der Renaissance wirklich unbehauener und unreiner klingen dürften als ihre späteren Verwandten, die Bäuml dazu motivierten, ihrem Instrument, der Schalmei, neue Ausdrucksqualitäten zu erobern: „Ich glaube, dass man da wirklich einem Vorurteil aufgesessen ist, denn diese Instrumente wären nicht in so einer Fülle überliefert, wenn damals alles rustikal oder unsauber oder unschön gewesen wäre.“ Mit dem flexiblen, blitzsauberen, singenden Ton, den Bäuml zu ihrem Ideal erkor, erweiterte sie automatisch die Möglichkeiten im Ensemblespiel: Anstatt sich nur an das traditionell an ihrer Hochschule in Basel gelehrte Repertoire der allein aus Bläsern gebildeten „Alta cappella“ zu halten, verfügt das von ihr gegründete Ensemble „Capella de la Torre“ über eine Fülle von Klangfarben. So treten zu der Schalmei und ihren großen Brüdern Altpommer und Dulzian hier unter anderem auch Blockflöte, Laute, Orgel und nicht zuletzt Solosänger hinzu. „Und diese Farbigkeit zu bekommen“ sagt Bäuml, „das erfordert, wie ich glaube, eine andere Spielweise, und ich glaube, dass das ein Weg ist, den ich irgendwann einfach einschlagen musste, weil es das vorher nicht gab.“
Was nicht bedeutet, dass solche bunten Besetzungen nicht belegt wären. Zum einen gibt es ikonografische Quellen wie etwa Marienkrönungen mit musizierenden Engeln, bei denen theoretisch allerdings auch die Möglichkeit bestünde, dass der Maler nicht ein tatsächliches Ensemble, sondern nur eine Fülle von Instrumenten abbilden wollte, erläutert Bäuml. Wichtige Kronzeugen seien auch Komponisten wie Michael Praetorius oder Claudio Monteverdi: Dass Letzterer in seiner Marienvesper ausdrücklich Schalmeien mit einsetzte, sei einer der besonders eindrucksvollen Hinweise darauf, dass dieses Instrument auch für die kunstvollste polyphone Musik im Verein mit Sängern verwendet wurde. Der Bezug zu den historischen Quellen ist Bäuml aber auch wichtig, wenn es um die nicht notierten Klänge ihrer Programme geht. Intensiv hat sie sich, die immer wieder auch auf Improvisationsfestivals zu hören ist, daher mit der Kunst der Verzierung und des ex-tempore-Spiels auseinandergesetzt. Neben dem Studium von Traktaten interessierten sie dabei auch Anregungen aus volksmusikalischen Traditionen. Fasziniert berichtet sie etwa von Doppelrohrbläsern aus dem Balkan, die sie bat, nur zwei lange Töne zu spielen – und die wie selbstverständlich davor ein virtuoses Figurenwerk hinlegten: „Sie sagten, sie hätten doch nur zwei Töne gespielt – und davor ein wenig die Finger bewegt.“ Ein anregendes Beispiel dafür, wie man auch in der Alten Musik Verzierungsreichtum bieten kann, ohne den getragenen Grundcharakter eines Stücks zu zerstören. Doch auch wenn Bäuml sowohl hier als auch im Jazz viele befruchtende Parallelen zu historisch informierten Improvisationspraktiken sieht und auch der Meinung ist, dass Authentizität nur in der unmittelbaren Kommunikation der Musiker mit ihrem Publikum erlebt werden kann, so wehrt sie sich doch dagegen, einem Programm wie der „Fire Music“ fremde Stile aufzupfropfen oder es gar zu verjazzen: „Das ist natürlich sehr einfach, sehr oberflächlich etwas zu machen, aber mir geht es darum, diese Tiefe zu behalten und die Ernsthaftigkeit, die ich eben auch habe, wenn wir reine Alte Musik-Programme machen.“
Diese Ernsthaftigkeit hat Bäuml nicht zuletzt auch im Blick, wenn es darum geht, Programme für die Capella de la Torre zusammenzustellen – so gerade auch bei der „Fire Music“. Sie ist die zweite CD in einer Reihe, welche das Ensemble den vier Elementen Wasser, Feuer, Luft und Erde widmet. Es ist ein populäres Thema – und doch zugleich eines, das im Denken der Antike, auf die sich wiederum die Renaissance bezog, eine tragende Rolle spielte. Sich immer auch auf den Kosmos der Menschen einzulassen, welche die Musik ihrer Programme hervorbrachten, ist für Bäuml ein wichtiges Anliegen: „Und damit meine ich nicht, dass ich eigentlich im 16. Jahrhundert gelebt haben möchte – im Gegenteil: Ich bin sehr sehr froh, dass ich heute leben darf. Aber ich glaube, dass man wie im Museum, wo man ein Bild hat, das vor langer Zeit gemalt wurde, dazu auch heute wieder einen Zugang finden muss.“ Sorgsam, fast „wie ein Libretto“ stellte Bäuml das Programm der CD zusammen, so dass sich die verschiedenen Bilder des Feuers gegenseitig Programerhellen und beleuchten. Am Ende stand eine durchhörbare Klang- und Zeitreise, bei der sich kaleidoskopartig die verschiedenen Erscheinungsformen des Elements Feuer vor dem Betrachter auffächern – vom Höllenfeuer über den unverletzbaren Feuersalamander bis zur brennenden Liebe des Madrigals „Ardente sole“, welche die Musiker einmal in einer originalen Lautenfassung und ein weiteres Mal in einer eigenen klangfarbenbunten „Coverversion“ feiern. Wie die antike Elementenlehre selber spiegelt das Programm die Idee von Vielfalt in der Einheit – ein Konzept, das für Bäuml nichts an seiner Aktualität und Ausstrahlungskraft eingebüßt hat: „Man kommt dazu, Dinge in Beziehung zu setzen, die vielleicht gar nicht unbedingt auf den ersten Blick zusammengehören – und das finde ich sehr faszinierend.“
Die Schalmei gelangte mit den Kreuzfahrern aus dem Orient nach Europa und gilt als Vorläufer der Oboe. Das Doppelrohrblattinstrument mit konischer Röhre wurde im Barock zum Hirteninstrument stilisiert, doch in der vorangehenden Epoche spielte es als ein Hauptinstrument der Stadtpfeifereien insbesondere bei festlichen Anlässen eine zentrale Rolle. Eingesetzt wurde es dabei sowohl zusammen mit Blechbläsern in der sogenannten „Alta Cappella“ (alta = laut) als auch in gemischten Besetzungen. Mit zur Familie gehören in der tieferen Lage der Pommer. Ebenfalls mit Doppelrohrblatt, aber mit geknickter paralleler Bohrung ausgestattet ist der Dulzian, aus dem sich das Fagott entwickeln sollte.
Carsten Niemann, 01.10.2016, RONDO Ausgabe 5 / 2016
Komische Oper Berlin – Ambroise Thomas: „Hamlet“
Was will die Komische Oper nur mit Französischem? Zwar hat man mit Jean-Philippe Rameau oder Jules […]
zum Artikel
Im Bruckner-Paradies
Bei diesem Festival steht neben vielem anderem bei Dirigent und künstlerischem Leiter Gerd […]
zum Artikel
Antike Klarheit
Gemeinsam mit Romina Basso ist die Sopranistin der Star auf der letzten, der Antike gewidmeten CD […]
zum Artikel
Ihre Wochenempfehlung der RONDO-Redaktion
An dieser Stelle finden Sie Inhalte eines Drittanbieters, die Sie mit einem Klick anzeigen lassen können.
Mit dem Laden des Audioplayers können personenbezogene Daten an den Dienst Spotify übermittelt werden. Mehr Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.
Alexander Skrjabins frühe Werke sind in ihrer Tonsprache noch stark von Chopin und Liszt beeinflusst. Die Préludes op. 13, zeigen deutliche Bezüge zu Chopin, aber auch eine visionäre Originalität, die seine zukünftige Modernität vorwegnimmt. In der berühmten Étude in cis-Moll hört man komplexe Harmonien, während die epische Leidenschaft der Fantasie in h-Moll bereits den kompositorischen Fortschritt andeutet. Die italienische Pianistin Daniela Roma hat in ihrem Heimatland und den […] mehr