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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Fanfare

Manchmal muss man die Wiener Staatsoper richtig lieb haben. Nicht nur, dass sie unter der bisher eher gemütlichen Leitung des Elsässers Dominique Meyer langsam auch bei den Premieren in Fahrt kommt. Da gab es doch vor kurzem im normalen Repertoirealltag, ohne PR-Tamtam und erhöhte Wahnsinnspreise, einmal die letzten Vorstellungen des wohl längsten „Don Carlos“ der Welt in der französischen Fassung – nicht nur im VerdiJahr ein absolutes Alleinstellungsmerkmal, auch wenn die (kürzere) Ur-Inszenierung Peter Konwitschnys nach wie vor den Hamburger Opernspielplan ziert.
Dann sangen hier in „Werther“ das Traumduo Roberto Alagna und Elīna Garanča. Zudem war das Hausdebüt des neuen russischen Sopransternchens Olga Peretyatko zu feiern. Zwar ist die dafür auserwählte, pappendeckelreiche „Rigoletto“- Inszenierung Sandro Sequis von 1982 nur zwei Jahre jünger als sie selbst, aber nach all den aktuell missglückten Regieversuchen von München bis Berlin in ihrer historistischen, zumindest die Handlung verständlich nachbuchstabierenden Kulissengemütlichkeit fast schon eine Wohltat. Simon Keenlyside ist ein buckliger Hofnarr mit Schellenstab wie aus dem Kostümbilderbuch, spielt sich einen Wolf und hat doch überhaupt kein Timbre und nicht die schwarze Fülle für diesen prototypischen Verdi-Vater. Dafür ist die Gilda der Peretyatko ein zart vertschilptes Koloraturvögelchen der sehr liebenswerten Art, noch ein wenig gehemmt vielleicht, aber sich manierlich verströmend beim Erlösungstod im Jutesack vor angegilbtem Mantua-Panorama.
Doch worauf nicht nur die Wiener Stehplatz-Verrückten stundenlang ausharrten, das war natürlich das Rollendebüt von Anna Netrebko als Tatjana in Peter Tschaikowskis „Eugen Onegin“. Die beharrlich berühmteste Sopranistin der Welt, die die wohl traditionsreichste Sopranpartie des russischen Repertoires mit viel Pomp und weltweiter Kinoübertragung im September zur Saisoneröffnung der New Yorker Metropolitan Opera neuerlich singen wird, hat sich für diese erste Gipfelerkundung bequemerweise ihren gegenwärtigen Lebensmittelpunkt Wien ausgesucht.
Und da stand sie nun, in Falk Richters vier Jahre alter, kühl modernistisch-minimalistischer, dauerbeschneiter Inszenierung. Wie festgewurzelt, nur langsam fortgerissen in einem nie gekannten Gefühlssturm, der in der nächtlichen Briefszene, dem immer noch schönsten erotischen Erwachen der ganzen Opernliteratur, wie eine Naturgewalt aus ihr herausbrach. Netrebkos dunkel glühende Stimme mit dem festen Kern und dem angenehm sich verbreitenden Höhenvibrato scheint dafür ideal geeignet. Sie hat sich Zeit gelassen mit der Tatjana, jetzt schon ist sie ganz die ihre.
Das hörte man spätestens in der Petersburger Ballszene, in eleganter Robe auf schimmernden Treppenstufen. Jetzt war sie die Königin der Gesellschaft, immer noch in den hyperblasierten, auch nach 20 Jahren im Onegin-Geschäft grandios fiesen sibirischen Silbertiger Dmitry Hvorostovsky verliebt, aber ihn aus bürgerlichem Kalkül abweisend. Das steigerte sich im vokalen Finalduell bis zum Schrei – schön, wohlig, verzweifelt und doch gefasst. Ein grandioser Netrebko-Triumph, eingerahmt und verschönt von einem fast komplett russisch sprechenden Ensemble. Und am Pult der nicht nur bei den Holzbläsern motivierten Wiener Philharmoniker streichelte Andris Nelsons diese herrliche Partitur als lyrische, auch emotional zupackende Herzensangelegenheit.
Könnte man Ähnliches doch aus der angeblichen Opernhauptstadt Berlin berichten: Da wärmte die Lindenoper Philipp Stölzls bilderprächtige, aber bei näherer Draufsicht im Sein- und Scheinspielen etwas konfuse „Holländer“-Inszenierung aus Basel von 2009 auf. Da steigt der Seefahrer aus einem Bild in die Bibliothek, und die träumende Senta schneidet sich am Ende die Pulsadern auf. Neben einer wenig tollen Besetzung, aus der Michael Volle in der Titelrollen bassbaritonprächtig hervorragte, war das Bemerkenswerteste, dass erstmals seit 21 Jahren bei einer Wagner-Premiere der Staatsoper zwar ein Daniel dirigierte, der aber nicht Barenboim, sondern harding hieß – und einen eher sachlichen Pultjob verrichtete.

Roland Mackes, 30.11.1999, RONDO Ausgabe 3 / 2013



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