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(c) Christine Schneider
Neulich in Japan. Mit der russischen Pianistin Yulianna Avdeeva ist eine patent-burschikose Tastenstürmerin für Beethovens 3. Klavierkonzert am Start. Beim Dirigenten Tugan Sokhiev hat es schon in der Probe klick gemacht, und auch das Deutsche Symphonie- Orchester Berlin hat mit der erst vierten weiblichen Chopin-Preisträgerin von 2010 seinen Klangspaß. Das ist ein zupackendes, klangprächtiges Miteinander, sehnig, doch filigran, sportiv, aber ohne Muskelspiele. Als Zugaben- Goodie gibt es ein Chopin-Nocturne, elegant und feinsinnig.
Drei Dinge fallen an ihr auf. Erstens ihre kecke, immer irgendwie von einem Lächeln umspielte Haltung auf dem Podium. Diese Tastenstürmerin spielt Schweres und Gefühliges, Rasantes und Lyrisches immer so, als ob sie nichts aus der Ruhe bringen würde. Locker aus dem Handgelenk, total auf die Musik konzentriert, die freilich gerade auf Tourneen nicht stupide repetierend, sondern jedes Mal neu klingt. Deshalb auch die gute, schon länger währende Zusammenarbeit mit Sokhiev, der stets Ähnliches versucht.
Zweitens: ihre Konzertkleidung. Der gertenschlanke Körper steckt in engen Hosen, Jacken oder fallenden Blusen zu hohen Absätzen. Gerne etwas altmodisch anmutende Schuhe lassen die 30-jährige um einiges jünger, dabei ungezwungen originell erscheinen: „Ich fand einfach, ich möchte nicht als Glanzverpackung rüberkommen, es geht hier schließlich um Musik, nicht um eine Modenschau. Ich möchte nicht ablenken“, so die pragmatische Erklärung. Die zudem eine patente Folge hat: Yulianna Avdeeva braucht keine bauschenden Kleidersäcke, sie reist mit vergleichsweise kleinem Gepäck.
Dritte Auffälligkeit: Da scheint es eine Künstlerin mal nicht eilig zu haben, da wird eher gemächlich Karriere gemacht. Im Alter von fünf Jahren begann Yulianna Avdeeva ihr Klavierstudium an der Gnessin Hochbegabten- Musikschule in Moskau, später folgte sie Konstantin Scherbakov nach Zürich, arbeitete sogar als seine Assistentin. „Er war wichtig für mich als Lehrer, und ich konnte mich so als 18-Jährige ganz natürlich von zu Hause abnabeln.“ Heute lebt sie in München. Sie hat diverse Preise gewonnen, aber selbst nach Warschau ließ sie sich nicht verheizen. Sie spielt gern in Asien, wo sie viel gebucht ist, aber auch in den USA, in Frankreich, Italien. In Deutschland muss sie sich paradoxerweise noch einen Namen erarbeiten, aber sie sieht das entspannt. Dirigenten mögen sie, sie teilt ihre Zeit ein zwischen Konzerten, Rezital und Kammermusik. Dafür hat sie hochkarätige Partner: Gidon Kremer mit der Kremerata Baltica und das Philharmonia Quartett der Berliner Philharmoniker, auch die Geigerin Julia Fischer.
Die Universalistin, die eigentlich alles gerne spielt, hat eine Vorliebe für Chopin. Auch Hammerklavier hat sie gelernt, deshalb vielleicht wählte sie Frans Brüggen für seine historische informierte Einspielung der beiden Chopinkonzerte. CDs rücken jetzt mehr in den Avdeeva-Fokus. Nach einem ersten Solorezital vor zwei Jahren bei mirare mit Werken von Schubert, Chopin und dem von ihr glanzvoll bewältigten (und „auch besonders zu mir passenden“) Prokofjew folgt nun ein zweites Album, wieder mit Chopin, dazu Mozart und Liszt. Auf dass ihr Profil sich in aller Ruhe runden kann: Gut Ding will eben Weile haben.
Matthias Siehler, 06.02.2016, RONDO Ausgabe 1 / 2016
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