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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Sandro Roy

Bach und Bebop

Mit „Where I Come From“ erregt der junge Jazzgeiger Aufsehen. Doch Sandro Roy hat mehr drauf als mitreißenden Gypsy Jazz.

Am Anfang war die Gitarre. Sie war die erste große Liebe des vierjährigen Sandro Roy; der Kleine nahm sie sogar mit ins Bett, weil er sich nicht von ihr trennen konnte. Der Weg schien schon vorgezeichnet, als der Sohn eines Jazzgitarristen mit sieben Jahren eine scheinbare Kehrtwende machte. Schuld daran ist das „ganz andere Resonanzgefühl“, das im Körper entsteht, wenn man mit dem Bogen über die Saiten einer Violine streicht. Sie hat sein Herz tiefer berührt, und „ich kann dadurch viel mehr meine Seele zeigen.“ Und so wie er zuvor ständig Platten von Jazzgitarristen wie Django Reinhardt und Wes Montgomery rauf und runter hörte, wurde er süchtig nach den Aufnahmen klassischer Geigenlegenden wie David Oistrach und Yehudi Menuhin. Seither gibt es zwei Sandro Roys: einen akademisch solide ausgebildeten Interpreten, der bei Harry Christian und Jens Ellermann studierte, sich gegenwärtig bei Linus Roth perfektioniert und schon mit 13 als Preisträger aus dem Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ hervorging. Und einen autodidaktischen Jazzer, der „lange keine Vorbilder unter den Geigern“ hatte, sondern vor allem Gitarristisches auf die Geige übertrug. Dass er sich in Spielweise und Klang von den meisten Jazzgeigern unterscheidet liegt auch daran, dass zwei seiner größten Vorbilder echte Geheimtipps sind: der innovative Gitarrist Kosta Lukács und Mátyás Csányi, für Roy „der beste Bebop-Geiger“. Die bereits vor seiner Geburt verstorbenen Ungarn prägten viele Musiker, vor allem im süddeutsch-österreichischen Raum, doch ist ihr Schaffen fast nur auf privat kursierenden, von Roy eifrig studierten Mitschnitten dokumentiert. Übrigens spielt der Musiker auch noch immer Jazzgitarre, ausgezeichnet, doch „nur als Hobby“. Wo wäre auch noch Platz für einen dritten Roy?

Saitensprünge, rückhaltlos

Obwohl er gerade mit der Jazzbearbeitung einer Bachschen Solosonate beschäftigt ist, wäre es völlig verfehlt, den Wanderer zwischen den Welten als Crossover-Musiker zu bezeichnen. Vielmehr ist er wie Benjamin Schmid eine der wenigen echten Doppelbegabungen unter den Violinisten und legt Wert darauf, in beiden Stilen „im ernsten Bereich“ zu bleiben. Er konzertiert ebenso selbstverständlich mit dem Violinkonzert von Glasunow wie er mit Birèli Lagrène die Bühne teilt. In beiden Situationen erleben wir rückhaltlose Hingabe, die Seligkeit eines Menschen, der ganz in seinem Tun aufgeht, auch wenn veränderte Spielhaltung und Klangästhetik uns einen ausgewechselten Violinisten vorgaukeln. Roys Traum ist es, bis zu seinem dreißigsten Lebensjahr alle großen Violinkonzerte zu erarbeiten. Doch er kann sich nicht vorstellen, ohne das „Gefühl des freien Groovens“ und Stegreif-Komponierens im Jazz zu leben. Und das wird er auch nicht müssen, wie sein Album und jüngste Erfolge, auch in den USA, zeigen. Wann hat je ein Jazzviolinist mit 20 schon so blitzsauber und gescheit improvisiert, selbst im rasenden Tempo und über schwierige Akkordwechsel, noch dazu musikalisch sinnvoll und einfallsreich, rhythmisch präzise und swingend, mit dem Herzblut der feurigen Jugend und schon dem Schliff eines alten Hasen? Und wäre er zwei-, dreimal so alt, es bliebe imposant.
Von seinen „Sinti-Wurzeln, die ich stolz trage und immer erwähne“, erzählt er mir auf die Frage, warum sein Album „Where I Come From“ heißt, und von Augsburg, wo 1994 seine Wiege stand, die Heimat Leopold Mozarts, dessen wegweisender „Versuch einer gründlichen Violinschule“ im Geburtsjahr seines berühmten Sohnes erschien. Roys Mutter ist eine weitläufige Verwandte Django Reinhardts und die „österreichische Sinti-Familie Roy hatte in jeder Generation mindestens einen Geiger. Ich bin der Letztverbliebene dieser Familientradition, weil es nur noch sehr wenige Roys gibt.“ Etliche aus der Familie starben in Dachau oder wurden sterilisiert. Der bislang erfolgreichste, Joseph Roy, hatte es „zu den Wiener Philharmonikern geschafft, verlor aber in der NSZeit die Zulassung, als man erfuhr, dass er Sinto sei.“ Sandro Roy erzählt sichtlich bewegt von Verwandten, die Ausschwitz überlebten, aber darauf verzichteten, Wiedergutmachungsgeld zu beantragen, um nicht als Sinti registriert zu werden. Oder von seinem Urgroßvater Joseph Reinhardt, der jedes Weihnachtsfest weinend dasaß, weil er als einziger seiner siebenköpfigen Familie die schlimmen Jahre überlebt hatte.
Jahrhundertelang haben Sinti und Roma die klassische Musik von Haydn bis Ravel geprägt. Da fällt schon auf, dass nur wenige klassische Geiger, etwa József Lendvay, ihre Wurzeln erwähnen. Sandro Roy, der nach eigenem Bekunden selbst nie wegen seiner Herkunft diskriminiert wurde, weiß: „Sinti und Roma sitzen in den führenden Orchestern, outen sich aber selten. Ich kenne genügend Beispiele von Opernsängern, Orchestermusikern, Pianisten und Juilliard-School-Absolventen. Sie haben Angst, mit Klischees verbunden zu werden, weil man oft sagt, wir könnten Mozart und Bach nicht stilistisch richtig spielen. Ich habe mich gleich zu Anfang geoutet, da ich auch Jazz mache und da ist es eh egal. Ins Orchester will ich auch nicht. Ich mache Jazz und Klassik, bin Sinto und keinen juckt’s, weil ich meinen eigenen Weg gehe.“

Zuletzt erschienen:

Where I Come From

Sandro Roy, Paulo Morello, Sascha Köhler-Reinhardt, Joel Lochner

Skip/Soulfood

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Gypsy, Bossa, Bop

Die Debut-CD „Where I Come From“ offenbart uns das Phänomen Sandro Roy in geschickt wechselnden Besetzungen (unter anderem mit dem Pianisten Jermaine Landsberger, dem Gitarristen Paulo Morello und dem Vibrafonisten Wolfgang Lackerschmid) in einer breitgefächerten Palette. Vom Fixpunkt Gypsy Jazz ausgehend führt der Weg über Bossa, Bop und einer jazzigen Verbeugung vor Bach zu klassischen Schmankerln von Kreisler und Sarasate. Die raffinierte Klangkultur des Virtuosen und die zupackende Spielfreude des Musikanten verbindend, ist Sandro Roy die personifizierte Mühelosigkeit und Leichtigkeit auf dem auch im Jazz schwierigsten aller Instrumente.

Marcus A. Woelfle, 28.11.2015, RONDO Ausgabe 6 / 2015



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