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(c) Sylvain Gripoix
Ausgerechnet das oft als spießbürgerlich belächelte Akkordeon feiert heute im europäischen Jazz einen einmaligen Siegeszug. Der 35-jährige Vincent Peirani ist Fackelträger dieser Entwicklung, die sich vor allem in Frankreich vollzog, Dort ist das Akkordeon Hauptinstrument der eigenen ungebrochenen Folklore, und Improvisation spielt darin eine zentrale Rolle. Diese Tradition war auch für Peirani bestimmend, Jazz auf dem Akkordeon zu spielen. Doch der Weg bis zur Gründung seiner aktuellen Gruppe „Living Being“, in der Melancholie, ekstatische Improvisation und robuste Rockelektronik eine begeisternde Synthese eingehen, war gezeichnet von Leiden und Leidenschaft.
Gut gelaunt gibt der schlanke Hüne in seinem temperamentvollen Französisch dazu Auskunft: „Eigentlich wollte ich Schlagzeug spielen, aber mein Vater, ein begabter Amateurmusiker, zwang mich zum Akkordeon. Ich hasste das Instrument, weinte regelmäßig, wenn er mich zum Üben zwang. Das zweite Instrument war wieder kein Schlagzeug, sondern eine Klarinette. Doch durch die Klarinette lernte ich die klassische Musik kennen und lieben. Mein Vater spürte meine neue Leidenschaft und brachte mich zu einem Akkordeonlehrer, der mir Bach, Mendelssohn und Franck vorspielte. Eine neue Welt des Akkordeonklangs tat sich da für mich auf. Aus dem Leiden wurde Leidenschaft, jetzt machte ich mir das Instrument zu eigen, und im Gegenzug hat es mich adoptiert. Jahrzehntelang spielte ich nur klassische Musik auf meinem chromatischen Knopfakkordeon mit chromatischen Bässen, also einem Bajan. Mit den zwei parallelen Tastaturen kann man wie auf einem Klavier praktisch alles spielen.“
Dann entdeckt Peirani über Bill Evans den Jazz. „Für mich war es nie eine Frage, ob ich Jazz auf der jazzaffineren Klarinette spielen sollte. Das Akkordeon war meins, und seine Rolle in unserer Folklore ließ mir die Entscheidung dafür nur natürlich erscheinen. Als ich dann nach Paris ging, wollte ich aber zunächst nicht unbedingt Jazz spielen, sondern Chansons. Doch die Begegnung mit den vielfältigen Musikmischungen in der Hauptstadt hat mich dann auf meinen jetzigen Weg gebracht. Jetzt hat sich ein Kreis geschlossen: In Paris traf ich meine Jugendfeunde aus Nizza wieder. Bislang hatten wir so noch nicht gemeinsam musiziert. Wir zusammen als Freunde, jeder mit seiner eigenen Farbe, könnten eigentlich eine interessante Gruppe abgeben, dachte ich. Es ist wie beim Kochen, die einzelnen Gewürze müssen ein subtiles Gleichgewicht miteinander ergeben. Anfangs zweifelte ich, ob Finesse und Sensualität meines Spiels und elektrischer Kontext zusammengehen würden und war mit meinem Spiel überhaupt nicht zufrieden. Erst im Lauf der ersten Konzerte fand ich zu meiner Stimme in der Gruppe. Als echte Freunde können wir uns ehrlich austauschen und auf der Bühne sind wir immer wieder aufs Neue glücklich, zusammen zu sein. Wir sind ein lebendiges Laboratorium, daher auch der Name. Ich hoffe, dass das lange so weitergeht und die Band und ihre Musik wie ein guter Wein reifen.“
ACT/Edel
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