home

N° 1297
18. - 24.03.2023

nächste Aktualisierung
am 25.03.2023



Startseite · Musik der Welt

Volksmusik zieht Jazzwärts

+ Wider das Reinheitsgebot: Bayerische Volksmusik mit Jazz- und Latin-Elementen + Fröhlich drauflos gejazzt: Deutsches Volksgut mit Groove + „Celtic Music“ jenseits von fadem New-Age-Gesäusel +

Typisch bayerisch“ meint man zunächst, stutzt höchstens ein bisschen, weil man die Besetzung mit Blechbläsern, Harfe und Akkordeon weder auf Blasmusi, Saitenmusi oder sonst eine „Musi“ festlegen kann. Kaum haben die Musikanten rund um den Trompeter Franz Josef Himpsl, dessen ganze Familie mitmusiziert, mit scheinbarer Harmlosigkeit selbst bodenständige Jazzhasser geködert, können sie sich fast alles herausnehmen. Gastsolisten wie der brasilianische Meistertrompeter Claudio Roditi und der kaum weniger eloquente Posaunist boppen was das Zeug hält und das Repertoire – in dem sich sonnig-exotische Rhythmen mit versonnenen Almstimmungen verschränken – belegt, dass man hier das Reinheitsgebot nur auf das berühmte Bier beschränken möchte. 10 Jahre Unterbiberger Hofmusik – ein Grund zum Feiern!
Und das tun die swingenden Herren in der Lederhosn und die Damen im Dirndl mit dem Album „Bavaria Meets The World“ (Himpsl Records 0401/unterbiberger.de). Der übertrieben klingende Titel des von Stück zu Stück stärkeren Live-Mitschnitts ist angemessen, flossen doch neben Jazz auch Elemente lateinamerikanischer Herkunft ein. Klang schon vor zehn Jahren das Zusammenspiel ungewöhnlich, doch auf seltsame Weise vertraut, klingt es heute schon wie das Natürlichste von der Welt, so, als hätte es solche Musik immer schon gegeben. Dass Volksmusik keineswegs ein jahrhundertealtes, unveränderlich zu konservierendes Museumsgut ist, sondern immer wieder frisch und fantasievoll musiziert werden kann, stellen wenige Formationen so eindrucksvoll unter Beweis wie die Unterbiberger Hofmusik.
Von der anderen Seite, vom Jazz her, nähern sich die fünf musikalischen Querdenker von Furiopolis auf ihrem Album „dornröschenwecker“ (Westpark music /Indigo 87112) dem deutschen Volksgut. Ihr frech-fröhlich-frei-fessellos-flotter Umgang mit Kindheitshits – „Fuchs, du hast den Groove gestohlen“, „Alle Vöglein sind schon weg“ – und anderem tief in der deutschen Seele verwurzeltem Liedgut reißt umso mehr mit, als sie nicht etwa nur unterhaltsame Spaßvögel, sondern wirklich mit allen Wassern gewaschene Vollblutjazzer sind. Erliegt man erst dem aberwitzigen Spielwitz des Trompeters Markus Türk und seiner vier Freunde, freut man sich, dass sie auch einen ganz unironischen lyrischen Ton anschlagen oder erfrischend klischeefrei straight ahead drauflos jazzen können.
Jazznah, in ihrer spontanen Spielhaltung, ihrer Virtuosität, ihrem rhythmischen Drive, jedoch nicht stilistisch, ist das Spiel des mit Flöten, Pfeifen, Dudelsack, Geige, Gitarren und Bass besetzten Quintetts Lúnasa. „The Kinnity Sessions“ (Compass Records/ Sunnymoon 742772), ihr fünftes Album, ist ein unveränderter Mitschnitt eines Konzertes im Kinnity Castle, klingt aber in seiner Perfektion wie eine erstaunlich lockere Studio- Produktion. Tief in der Tradition verwurzelt (wenn auch schon mal ein „Bulgarian Rock“ im Repertoire auftaucht ohne wie ein Fremdkörper zu wirken), wirkt sie zeitgemäß, ohne ihren Arrangements je einen poppigen, neutönerischen oder sonstig aktuellen Anstrich zu verleihen. Was andere von sich glauben machen wollen – in einer Zeit, die fades New-Age-Gesäusel als „celtic“ vermarktet – ist Lúnasa also wirklich eine authentische irische Band, die zupackend spielt.

Marcus A. Woelfle, 18.04.2015, RONDO Ausgabe 2 / 2005



Kommentare

Kommentar posten

Für diesen Artikel gibt es noch keine Kommentare.


Das könnte Sie auch interessieren

Pasticcio

Auf der Zielgeraden

Es gibt auch im Musikbetrieb manch tonangebende Persönlichkeiten, bei denen man sich nicht […]
zum Artikel

Boulevard

Carmen am Akkordeon

Ein Schuss Jazz, eine Prise Film, ein Löffel Leichtigkeit: Bunte Klassik

Gelegentlich wird sie ja auf Bahnhöfen oder Flughäfen von Mitreisenden gefragt, was sie da in […]
zum Artikel

Gefragt

Nils Petter Molvaer

Kulturtechnik

Mit einem Crossover aus Jazz, Rock, Ambient, Drum’n’Bass und anderen Stilen der populären […]
zum Artikel


CD zum Sonntag

Ihre Wochenempfehlung der RONDO-Redaktion

Externer Inhalt - Spotify

An dieser Stelle finden Sie Inhalte eines Drittanbieters, die Sie mit einem Klick anzeigen lassen können.

Mit dem Laden des Audioplayers können personenbezogene Daten an den Dienst Spotify übermittelt werden. Mehr Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.

Der spätbarocke Dichter Barthold Heinrich Brockes (1680–1747) begründete seinen Ruhm durch die 1712 entstandene Passionsdichtung „Der für die Sünde der Welt gemarterte und sterbende Jesus“. Mit dieser hochemotionalen Schrift war er so erfolgreich, dass gleich 13 zeitgenössische Komponisten diese vertonten, darunter Händel, Keiser, Mattheson und Stölzel. Auch Georg Philipp Telemann lernte den Text 1716 kennen und schrieb in seiner Autobiographie, dass „dessen Poesie von allen […] mehr


Abo

Top