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RONDO: Wie lautete eigentlich Ihre Berufsbezeichnung bei Universal?
Jürgen Backhaus: Ich kann die Tätigkeit beschreiben, die ich ausgeübt habe: Ich war zehn Jahre lang Chef des Labels Philips, bis man sich bei Universal entschied, nach damals fast 100 Jahren Aufnahmetätigkeit den Bereich Neuveröffentlichungen von der Pflege des bestehenden Katalogs zu trennen. Letzteres habe ich dann übernommen und seit 1997 den neu eingerichteten Bereich Katalogmarketing geleitet. Damit war ich für zielgenau immer die Hälfte des Umsatzes der ganzen Klassik zuständig; wenn es z. B. darum ging, eine große Serie oder eine Jubiläumsedition aus bestehenden Aufnahmen zusammenzustellen, fiel das in unsere Verantwortung.
RONDO: Haben Sie eine musikalische Ausbildung genossen?
Backhaus: Ich bin Betriebswirt, kein Musiker. Im Gegensatz zu vielen anderen Mitarbeitern spiele ich kein Instrument und kann nicht Partitur lesen; Musik hören war für mich immer ein Hobby.
RONDO:Was haben Sie denn vorher gemacht?
Backhaus: Ich war im Mineralölgeschäft, gelernt habe ich bei einer Stahlfirma, habe also einen betriebswirtschaftlichen Hintergrund. Zur Deutschen Grammophon kam ich als Seiteneinsteiger. Damals besaß ich privat allerdings schon vierhundert Schallplatten und brachte einige Repertoirekenntnisse mit, weil ich immer sehr genau recherchiert habe, bevor ich mein sauer verdientes Geld in eine Aufnahme gesteckt habe.
RONDO:Der Markt hat mittlerweile eine Richtung eingeschlagen, mit der Sie sicher nicht mehr glücklich sind.
Backhaus: Yes, Sir. Goldene Zeiten hatten wir beim Aufkommen der CD als Tonträger. Der Höhepunkt war etwa zu jener Zeit erreicht, als wir bei Philips die Mozart-Edition gemacht haben: Dieses Projekt konnte noch mit 5-jähriger Vorbereitungszeit in Angriff genommen werden, das hat der Markt noch honoriert. Aber bald danach ging es bergab.
RONDO:Wie zeigte sich das?
Backhaus: Nehmen Sie nur die hoch ambitionierte Pianisten-Edition, die in Zusammenarbeit mit anderen Labels repräsentativ das Klavierspiel des 20. Jahrhunderts widerspiegeln sollte. Die ist ein Flop geworden! Wir hatten geglaubt, die Aufnahmefähigkeit des Marktes sei größer, aber da sind wir deutlich an Grenzen gestoßen.
RONDO:Mit was für einer Geschäftspolitik würden Sie den heutigen Problemen entgegentreten?
Backhaus: Prinzipiell glaube ich, das Interesse an Klassik ist nicht tot zu kriegen. Aber wir haben eindeutig die Jugend für die Klassik verloren: Zwei Drittel der Aufnahmen werden an Leute über 50 verkauft. Das ist keine ganz neue Entwicklung, aber sie hat sich verstärkt. Momentan haben wir so sehr Feuer unterm Dach, dass wir an allen Ecken was versuchen müssen. Der treue, konservative Hörer muss weiter mit ordentlichen Neuaufnahmen, einer vernünftigen Auswertungsserie und einer verständlichen Preispolitik gepflegt und erreicht werden. Aber wir müssen auch für die 20- bis 40-Jährigen eine Form finden, um sie an die Klassik heranzuführen. Und dafür weiß ich auch kein Patentrezept, es gibt unglaubliche Phänomene: Was, glauben Sie, ist der Bestseller der Serie „Eloquence”? Eine Adagio-Koppelung! Es gibt einen Bedarf an Musik, die nicht aktives Zuhören fordert, sondern zum Weintrinken oder Entspannen geeignet ist, und das akzeptiere ich voll und ganz. Auch die großen Komponisten haben Musik für Tafelfreuden gemacht, Musik hat nicht immer bedeutet, mit geschlossenen Augen nach Zahlung eines hohen Eintrittsgeldes Kultur zu genießen.
RONDO: Für welche der CD-Serien, die ältere Aufnahmen neu präsentieren, sind Sie denn mit verantwortlich?
Backhaus: Besonders stolz bin ich auf „Eloquence“, in ganz kleinem Kreis geboren und durchgesetzt als Antwort auf preisgünstige CDs wie die von Naxos. Damit erreichen wir vor allem Spontankäufer, die beim Einkaufen auch mal eine CD mitnehmen. Hinter dieser Serie stehe ich mit Haut und Haaren.
RONDO: Noch vor der „Eloquence”-Serie kamen die „Originals“ auf den Markt ...
Backhaus: Die wurden 1995, also vor meiner Zeit im Katalogmarketing bei DG, ins Leben gerufen mit dem ursprünglichen Ziel, bis zum Jubiläum 100 Jahre Deutsche Grammophon 100 Schallplatten aus der Geschichte des Labels auf CD mit den Original-Covers wiederveröffentlicht zu haben.
RONDO: Im Jahr des zehnjährigen Bestehens dieser Reihe sind es nun schon über 180, und ein Ende ist noch nicht abzusehen.
Backhaus: Die „Originals“ wurden vom Publikum von Anfang an mit offenen Armen aufgenommen und sind seitdem immer hervorragend gelaufen, und daher wurde meines Wissens noch niemals in Betracht gezogen, sie zu stoppen.
RONDO: Laufen die historischen Aufnahmen am Ende sogar besser als die neuen?
Backhaus: Das lässt sich so leicht nicht sagen, es hieße, Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Die Serie „Originals“ hat aber inzwischen so eine Eigendynamik entwickelt und genießt so hohes Ansehen, dass der Käufer auch mal etwas mitnimmt, was ihm zunächst gar nicht so viel sagt. Da hat es ein neuer Künstler oft schwerer: Der muss erst durch Presse und Tourneen für Aufmerksamkeit sorgen.
RONDO: Lässt sich mit Neuaufnahmen heute noch etwas verdienen?
Backhaus: Es hängt stark davon ab, welche Stückzahlen verkauft werden, und dies im Verhältnis zu den Produktionskosten. Den Mut und die finanzielle Freiheit, die die Deutsche Grammophon mal in den 60er Jahren hatte, als Pfitzners „Palestrina“ hoch ambitioniert und exzellent besetzt aufgenommen wurde, hat man heute so nicht mehr. Bei diesem Projekt war auch damals klar: Das Geld werden wir nie wieder sehen, obwohl die Aufnahme bis heute im Katalog ist.
RONDO: Sind die noch lebenden Künstler in der Regel glücklich über die Neuauflage ihrer frühen Leistungen im Retro-Look?
Backhaus: Einen einzigen Fall gibt es, wo ein Künstler sich mittlerweile so entscheidend weiterentwickelt hat, dass er nicht mit der Wiederveröffentlichung seiner Erstaufnahme einverstanden war.
RONDO: Nämlich wer?
Backhaus: Krystian Zimerman. Er hat die Chopin-Klavierkonzerte in der Doppelfunktion als Solist und Dirigent neu aufgenommen, und wir haben die alte Einspielung auf seinen Wunsch hin nicht in die „Originals“ aufgenommen.
RONDO: Aus Ihrer Zeit bei Philips erinnern Sie sich sicher an die Begegnung mit vielen Künstlern.
Backhaus: Am aufregendsten war Jessye Norman, die trieb einem immer den Angstschweiß ins Gesicht: Eine Dame wie ein Naturereignis mit einer Stimmungs-Bandbreite, die von uns normalen Mitteleuropäern natürlich keiner hat. Ihre Bedürfnisse waren eigentlich sehr einfach, aber wenn die nicht erfüllt wurden, konnte sie sehr lautstark werden. Als sie einmal bei Biolek auftrat, war unsere Promotion-Mitarbeiterin krank und ich musste sie betreuen. Es lief zwar glänzend, aber da war ich nervlich schon einigermaßen am Ende.
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