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In griffiges, edles Leinen gebunden präsentiert sich diese Preziosenschatulle, darauf prangt in Silberprägung ein Stuhl ohne Sitzpolster. Ein Folterinstrument? Ein Glenn-Gould-Fan weiß natürlich, dass der Pianist, an dessen 80. Geburtstag und 30. Todestag zugleich erinnert wird, auf diesem äußerst unbequemen Modell am liebsten spielte und ihn sogar auf Konzertreisen mit sich führte. In seinem Purismus symbolisiert dieser Stuhl somit auch die endlosen Stunden im Tonstudio, Goulds Kosmos der Konzentration, in dem die in dieser Box veröffentlichten 38 Aufnahmen entstanden. Der eigentliche Schatz darauf, seine gesamte Beschäftigung mit dem Werk Johann Sebastian Bachs, wurde allerdings längst eingefahren, die Hauptarbeit daran hatte Gould selbst. Sorgte Wanda Landowska mit ihrem Stahlrahmencembalo noch für belustigtes Stirnrunzeln, öffnete Gould mit seinem antiromantisch manierierten und dabei so technisch brillanten Spiel dem 20. Jahrhundert die Ohren für das Klavierwerk Bachs. Seine Goldbergvariationen von 1955 schafften es sogar in die Charts. Doch von Anbeginn an war die Begeisterung für seine Kunst stark angefüttert von der Neugier an seinem schrulligen, eigenbrötlerischen Wesen. Erfreulich, dass die liebevoll in die originalen Schallplattencover der Columbia gekleideten CDs um die Filme Bruno Monsaingeons ergänzt wurden, deren Interviews einen tiefen Einstieg in Goulds Musikverständnis erlauben. Da sind dann selbst die Outtakes der 55er-Goldbergvariationen und der unveröffentlichte »Well-Tempered Listener« ›nur‹ noch kostbare Dreingaben.
»The Complete Bach Collection« (38 CDs & 6 DVDs, Sony 88691 961142)
Carsten Hinrichs
In den 70er-Jahren verwöhnte EMI die Opernliebhaber mit einer Reihe von Ersteinspielungen deutscher Kurzopern. Mit Ausnahme von Mozarts »Bastien und Bastienne« und seinem »Schauspieldirektor«, die die meisten Sammler schon in ihren Regalen stehen hatten, erschien in kurzer Folge eine Rarität nach der anderen, die meisten dieser Aufnahmen sind bis heute die einzigen dieser Werke geblieben. Ob mit Glucks »Der betrogene Kadi«, Lortzings »Die Opernprobe« oder d’Alberts »Die Abreise« – die Repertoirekenntnisse der Stimmenfans wurden mit jeder neuen Veröffentlichung erweitert. Und das auf höchstem vokalen Niveau: Sowohl Edda Moser als auch Helen Donath übernahmen je viermal die weibliche Hauptpartie, auf Tenorseite brachte es Nicolai Gedda sogar auf fünf Einsätze, und auch bei den tiefen Männerstimmen gaben sich Dietrich Fischer-Dieskau und Kurt Moll in jeweils vier Produktionen die Ehre. Damals musste man für diese Schätze als Einzelveröffentlichung tief in die Tasche greifen, jetzt bringt EMI alle elf Werke in einer Box zu einem absoluten Schnäppchenpreis wieder auf den Markt. Da kann man nur raten: Zugreifen!
Mozart, Gluck, Schubert, Lortzing u.a. – 11 Kurzopern (11 CDs, EMI4643142)
Michael Blümke
Am Ruf des Dirigenten Leopold Stokowski kleben seine Orchesterbearbeitungen von Bachwerken und Klavier-Encores wie Kaugummi am Absatz. Wer sich die Box zulegt, die seine Stereoaufnahmen für die Columbia auf 10CDs vereint, die in seinen letzten 17 Lebensjahren entstanden, hat die Chance, die wahrhaftig ungemeine Bandbreite des Musikers kennenzulernen, der als Kirchenmusiker und Organist in England startete, das Philadelphia Orchestra zu einem der seinerzeit besten Orchester Amerikas kultivierte, sich in Hollywood, beim NBC Orchestra und den New York Philharmonic hervortat, bevor er nach internationaler Karriere sein Leben in England beschloss. Dabei sind viele der in den Originalcovern präsentierten CDs (deren Schallplattencover-Texte sich zu Augenpulver reduzieren) Wiederaufnahmen von Projekten der 20er-Jahre, eine erfüllte Werk-Rückschau sozusagen. Seite an Seite mit den Orchesterarrangements ergeben sie ein Panorama des Stokowski- Kosmos. Wir erleben den klugen Programmgestalter, der de Fallas »Amor brujo« mit Wagners »Tristan« koppelt, den rassigen Bizet- Gourmet, den Wegbereiter von Charles Ives und Jean Sibelius und den kongenialen Partner Glenn Goulds bei unkonventionellem Beethoven. Noch im Todesjahr nahm der Maestro übrigens Mendelssohn und Bizet auf. Leicht, nicht leichtgewichtig, Abschied nehmen, das war sicher nach seinem Geschmack.
Leopold Stokowski, »The Columbia Stereo Recordings« (10 CDs, Sony 88691 971152)
Carsten Hinrichs
30.11.1999, RONDO Ausgabe 4 / 2012
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