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Die geborene Georgierin, bekennend melancholisch, hielt das Klavier zu Studienzeiten für »das einsamste Instrument« schlechthin – und gab sich als Mauerblümchen kurz vor Blüte. Was ist seither passiert? Inzwischen ist sie nach Paris umgezogen. Hält die Zügel ihrer Karriere fest in den manikürten Händen. Und gilt zu Recht als die Jungpianistin mit dem künstlerisch und musikalisch höchsten Potential.
Man höre ihren Chopin. Dunkelglühend und tintig im Anschlag, furios und zackig durch die vulkanischen Schründe des f-Moll-Konzerts jagend, trifft sie den Chopin-Ton kongenial. Gemessen daran begleiten Paavo Järvi und das Orchestre de Paris fast zu süffig. Der Trauermarsch in der Sonate Nr. 2 b-Moll lässt bei Buniatishvili sogar das Wiegenlied ahnen. Sie hat Sinn für Abgründe, hat Ecken und Kanten und überzeugt gerade durch die Unbeirrbarkeit, mit der sie den Sturzflug ins Glück bei Chopin glaubhaft macht und befeuert. Ein schwarzer Engel. Und genau so lässt sie sich von der Hamburger Fotografin Esther Haase auch ablichten. »Sie versteht mich«, so Buniathishvili. Haase gelingt es, neben Jugend, Liebe und Krankheit, die Buniathishvili in Chopin sieht, auch noch ein Quäntchen fashion victim, it girl und Amazonengewitter mit unterzubringen. Und die prominente Nase, die Buniatishvili hat, wird nicht wegretuschiert.
Die von Gidon Kremer entdeckte (und als seine Klavierbegleiterin oft eingesetzte) Pianistin stammt aus einer musikalischen Familie, der zuliebe sie es auch ablehnt, ihren komplizierten Namen in etwas mediengerecht Niedlicheres umzumodeln. 1987 in Tiflis geboren, setzte sie sich fünfjährig ans Klavier, ein Jahr später trat Khatia zum ersten Mal mit Orchester auf. Ein georgischer Kinderstar war geboren. Die mit absolutem Gehör beschenkte Pianistin hat somit bereits nächstes Jahr ihr zwanzigjähriges Bühnenjubiläum hinter sich.
»Wenn man sich selber gut findet, kann man das auch aufs Publikum übertragen«, meint sie. Das Kunststück, sich selbst zu lieben, sei manchmal indes gar nicht einfach. »Zum Glück habe ich einen Beruf, wo es nicht darum geht, besser zu sein, sondern anders zu sein als andere«, sagt sie. Und hat anfangs mit ihrem Job gehadert. »Karriere war ein schlechtes Wort, als ich Teenager war.« Noch heute sei sie skeptisch gegenüber Leuten, die Erfolg an die erste Stelle setzen. »Sei glücklich und nett mit anderen «, so hätten ihre Eltern zu ihr gesagt. »Das ist die Mentalität, in der ich aufgewachsen bin.«
Inzwischen ist sie fester Bestandteil illustrer Festivalkreise. Gemeinsam mit ihrem Vorbild Martha Argerich (»genial«) spielte sie in Brüssel zum Geburtstag von Ivry Gitlis. In Elena Bashkirova, der Frau von Daniel Barenboim, hat sie eine wichtige Förderin gefunden. »Ich habe gelernt, dass Intuition das Wichtigste ist. Sie ist die innere Stimme, auf die ich höre«. Es müsse natürlich klingen, so wie sie es von dem bewunderten Svjatoslav Richter kenne. »Das Klavier ist ein Perkussionsinstrument und als solches zum Singen nicht prädestiniert. « Genau das sei aber wichtig. »Singen können. Und erzählen können.«
Auf ihrer neuen Chopin-CD exzelliert Khatia Buniatishvili in der Kunst der Versenkung und der erzählerischen Verbindung, die man bei Pianisten heute selten findet. Das erotische Monster, die schöne Unnahbare, als die sie sich gern stilisiert, bleibt das zurzeit größte Zukunftsversprechen am Klavier. Nur echt mit der Nase.
Sony
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