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Ein Sommertag des Jahres 2005. Zum siebten Mal hat sich das West-Eastern Divan Orchestra, das 1990 von Edward Said und Daniel Barenboim ins Leben gerufen wurde, zusammengefunden, um ein Tourneeprogramm einzustudieren. Der Ort, an dem diese Begegnung über die Bühne geht, könnte idyllischer kaum sein. Nicht zuletzt weil 2003 mit finanzieller Hilfe der andalusischen Regierung die Barenboim- Said-Stiftung gegründet wurde, probt man in der Residencia Lantana, 20 Kilometer östlich von Sevilla.
Heiter sei die Kunst, ernst das Leben? Oder umgekehrt? Im West- Eastern Divan Orchestra vermengt sich alles. Musik kann, muss aber nicht, politische Dimensionen haben, sagen die einen. Musik sei sui generis und per se Genuss, mithin völlig unpolitisch, entgegnen die anderen. Sie sind vor allem hier, um Erfahrung mit einem „großen Dirigenten“ zu sammeln, mit Daniel Barenboim. Und dann gibt es auch Musiker, die haben den ganzen Kontext im Kopf, wenn sie den Geigenbogen heben, ihr Rohrblatt schnitzen, die Spucke aus den verschlungenen Säulengängen ihres Blechblasinstrumentes schütteln. Insbesondere dann, wenn es zu jener bemerkenswerten „Tristan“-Situation kommt, wie in der letzten Probenwoche.
Einige israelische Musiker haben Daniel Barenboim aufgesucht und ihn darum gebeten, er möge Wagner mit ihnen proben. Barenboim hat daraufhin entschieden, den Wünschen nachzugeben, aber erst das ganze Orchester zu fragen, ob es dazu bereit sei. Es gibt keine Gegenstimmen, zunächst nicht. Doch Barenboim ahnt schon, was auf das Orchester, die einzelnen Musiker zukommt. Schließlich gab es am 7. Juli 2001, als er nach einem Konzert der Staatskapelle Berlin in Jerusalem Vorspiel und Liebestod aus dem „Tristan“ als Zugabe spielte, heftige Anfeindungen in der israelischen Presse. Dies wissend, hält er den jungen Musikern in der Residencia erst mal einen Vortrag, skizziert die musikhistorischen Fakten, die Entwicklung von Bach bis Wagner, und dann schildert Barenboim die politischen Implikationen von Wagners Musik. Barenboims Ton ist sachlich, seine Ausführungen bleiben in toto bei den Fakten.
Eine richtige, eine weise Entscheidung. Doch die Empfindungen sind da, die Empfindlichkeiten. Es kommt zu Eruptionen verwundeter Seelen. Nach nur wenigen Takten des „Tristan“- Vorspiels bricht eine israelische Bratschistin in Tränen aus, verlässt den Saal. Ihre Großeltern, stellt sich hinterher heraus, wurden in Auschwitz von den Nazis ermordet. Auch andere Musiker können nicht weiterspielen, zu groß ist der Druck aufs Herz, der Verweis auf das Schreckliche, was geschehen, bei Freunden, Bekannten, in der eigenen Familie.
Barenboim macht das einzig Richtige. Er spricht mit den Musikern, die so heftig reagieren, so wie er auch immer mit den Politikern gesprochen hat, und seien es jene, die ihn verdammen wollten. Das Gespräch, sagt Barenboim, ist der Anfang eines Dialogs, der vielleicht irgendwann einmal zu Frieden führen kann. Recht hat er, und die Musik, das weiß er, das wissen auch die Musiker, ist da die beste Kunstform. Weil sie, auch wenn das klischeehaft klingt, Menschen zusammenbringt, eben auch solche Menschen, die sonst vielleicht nie ein Wort miteinander wechseln würden.
Barenboim hat Recht behalten mit seinem Optimismus. Das Konzert in Ramallah, wenige Tage nach dem Ende der Probenphase in der Residencia Lantana, war ein Erfolg. Und ein weiterer Schritt in die richtige Richtung. In Richtung Frieden.
Warner
Tom Persich, 31.01.2015, RONDO Ausgabe 6 / 2005
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