Mailand, München, Paris – diese berühmte Mozart-Route bereiste Friedrich Gulda im Laufe des Jahres 1981. Und im Gepäck des österreichischen Jahrhundertpianisten befand sich ein ganzer Stapel Noten, an dem er nach eigenen Worten „gesündigt“ hatte. Es waren sämtliche Klaviersonaten von Wolfgang Amadeus Mozart, diesem neben Bach zweiten Heiligen von Gulda. In den drei Metropolen und in dreiteiligen Konzertzyklen leistete der begnadete Mozartspieler nun Abbitte – gegenüber dem „unterschätzten“ Solowerk, das für ihn bis dahin angeblich nur als „Einspiel- und Zugabenstückchen“ firmierte.
Ganz auf die Goldwaage durfte man natürlich nie alles legen, was dieses polarisierende Schreckgespenst des bürgerlichen Klassikbetriebs gerne von sich gab. Zumal eine gerade wieder entdeckte Aufnahme der Sonate KV 578 aus den 1940er Jahren beweist, wie Gulda mit seinen noch nicht mal 20 Lenzen Mozart ernst nahm. Mit genau jener Balance aus intellektueller Kontrolle und spontanem Zugriff, mit der er 30 Jahre später Mozarts Klavierkonzerte meisterte. Dass Gulda nun endlich auch die Sonaten wieder entdeckte, ist der Erholungspause von einem künstlerischen Vagabundenleben zu verdanken, das Gulda bis 1980 geführt hatte. Nach Ausflügen in den Jazz und mehrfachen Identitätswechseln ging er in einer umgebauten Scheune im oberösterreichischen Weißenbach am Attersee in Klausur. Und spielte auf einem Bösendorfer von morgens bis abends nur noch Mozart – während sein Sohn Rico in der Ecke saß, Karl-May-Bücher verschlang und nebenbei seinen Vater „überhaupt zum ersten Mal als klassischen Pianisten hörte“.
Rico Gulda hat mittlerweile selbst Karriere als Pianist gemacht. Glücklicherweise kümmert er sich aber auch intensiv und in Zusammenarbeit mit Friedrich Guldas Lebensgefährtin Ursula Andres um den Nachlass seines Vaters. „Ich wusste aus Erzählungen meines Vaters, dass er im Winter 1980/81 Mozart-Sonaten aufgenommen hatte. Im Hinterzimmer im ‚Hotel Post‘ am Attersee, an einem Bösendorfer Imperial, von dem mein Vater so angetan war, dass er ihm den Spitznamen ‚Der Löwe‘ gab.“ Warum Friedrich Gulda jedoch das wertvolle Aufnahmepaket sogleich dem Tonmeister Hans Klement schenkte, bleibt für Rico Gulda ein Rätsel. Die auf acht Musikkassetten festgehaltenen Mitschnitte, die in Auszügen nun auf drei CDs als „Mozart-Tapes“ erstveröffentlicht werden, fand Klements Witwe jedenfalls im Archiv ihres Mannes wieder. Und Rico Gulda war mächtig aufgeregt, als er die Kopien einlegte: „Das Mozartspiel meines Vaters ist rhythmisch präsent und in den Phrasierungen deutlich, zugleich aber immer zärtlich und fantasievoll.“
Tatsächlich mag man kaum seinen Ohren glauben, mit welch strammem Zugriff, entwaffnender Spontaneität und bewundernswerter Ausdruckstiefe Gulda seinen Mozart anging. In den Ecksätzen der frühen Sonaten schmeißt er den Presto-Turbo mit fesselnden Kontrasten und Steigerungen an. In den späten Sonaten dann findet er zu großer Strenge und Intimität, während die c-Moll-„Fantasie“ KV 475 voller furios inszenierter „Don Giovanni“-Tragik steckt. Das Mozartjahr hat einen ersten Höhepunkt erreicht.
Guido Fischer, 31.01.2015, RONDO Ausgabe 1 / 2006
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