home

N° 1354
20. - 26.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



Startseite · Testgelände

Klingeltöne fürs Handy

Die klassische Klingelfee

Schluss mit Piep Piep oder seichtem Pop. Der Musikverlag Boosey & Hawkes bietet klassische Klingeltöne zum Runterladen. Ob „Walkürenritt“ oder Schostakowitschs „Hamlet“- Fanfare, „Karelia Suite“ oder Bernsteins „Tonight“ – der Handy- Geschmacksprobe sind ab sofort keine Grenzen gesetzt.

Bei Cecilia Bartoli quakt ein Frosch. In Emmanuel Pahuds Hosentasche singt eine erotische Frauenstimme „Ring, ring, ring“. Eckart Runge (vom „Artemis-Quartett“) lässt sich mit argentinischem Tango oder mit Latin Jazz alarmieren. Und Daniel Barenboim mit Samba. Die Klingeltöne der Klassikstars variieren, aber sie sind meist nicht klassisch. Eigentlich logisch. Wer eine Bachfuge spielen kann, hört nicht gerne Handy-Verballhornungen desselben Stücks. Es gibt ernste Künstler, die wittern bei klassischen Klingeltönen sogar Verrat. Oder zumindest: den Untergang des Musik-Abendlandes. So schwer wollen wir die Sache nicht nehmen. Wenn man in einer Gruppe zusammensteht und plötzlich eine gepixelte Version des Triumphmarsches aus „Aida“ erklingt, darf man entspannt weiterträumen. Denn man weiß: „Mein Handy ist das nicht!“ Erstmals gibt es jetzt klassische Klingeltöne nicht nur nach Menü-Schmalauswahl. Sondern zum Runterladen. Der Musikverleger Boosey & Hawkes bietet ein breites Sortiment klassischer Pieptöne im Internet an, so genannte „Booseytones“ (www.booseytones. de). Fürs „anspruchsvolle Ohr“, tönt man. Daher beschränkt sich die Auswahl nicht auf Mozart- und „Carmen“-Schnipsel. Über 300 „Ringtones“ sind im Angebot – viele davon in mehreren Versionen.
Wie soll man sich da entscheiden? Bruckners Scherzo aus der 7. Sinfonie mag noch breiteren Bedürfnissen entsprechen. „Ebben? Ne andrò lontana“, der Vokalkreischer aus Catalanis „La Wally“, schmeichelt dem, der von Freunden ein wissendes Lächeln des Kennertums ernten will. Henry Woods „Seafarer“ und Bucalossis „Grashopper’s Dance“ sind Schmankerl. Wir wollen heute mal vornehm sein und wählen ganz was Feines: Debussys „Les sons et les parfums“ aus dem ersten Buch der Préludes. Die Auswahl ist vielseitig, nicht richtungslos. Es gibt nicht alle Vivaldi-Jahreszeiten, aber fast sämtliche Holst-Planeten; wohl ein Tribut ans Britische. Erfreulich wenig Satie, umso mehr Prokofjew (16 Motive). Der Klingelkanon hat eine Schlagseite ins Geschmackvolle, warum nicht? Gegen zehn Mahler-Motive kann niemand etwas haben.
Großer Vorteil: Die Booseytones verbiegen kaum. Die Ouvertüre zum „Rosenkavalier“ klingt behäbig (muss Haitink sein!), aber sie tut es mit vollem Orchester. Wer Puccinis „Nessun dorma“ knödelt, erfährt man nicht. Die Interpreten wirken mobilphongerecht gecastet und zugespitzt. Das bedeutet: scharfe Stimmen, langsame Tempi. Doch haben wir nicht schon zu genau hingehört? Ruftonsignale sind keine intimen Töne. Wer klassisch klingeln lässt, sucht den Hauch des Besonderen, aber eben nur hauchdünn. Klingeltöne gehen mit Klassik unkonventionell um und befreien, wenn’s hoch kommt, die E-Musik vom Glorienschein frackverzierter Hochkultur.
Kurz: Hier wird Hochpreisiges zu etwas sympathisch Günstigem: 2,49 Euro kostet das Tönchen. Das Handy muss WAP-fähig und empfangsbereit sein – schon wird einem der Nervtöter zugestellt. Verkaufsschlager sind übrigens – auf Platz fünf und vier – Rachmani nows Klavierkonzert Nr. 3 und Mozarts Ouvertüre zur „Zauberflöte“. Bronze holt Brittens zeremoniöser „Young Person’s Guide to the Orchestra“. Auf dem zweiten Rang tummelt sich Arthur Woods „Barwick Green“. Top aber ist Sergej Prokofjew mit der Troika Nr. 1 aus „Lieutenant Kijé“. Hätten Sie’s gedacht? Schlecht ist der Geschmack von Handy-Usern offenbar nicht.
Wer die Ohren voll hat vom Walkürenritt, kann übrigens rasch wieder auf konventionelle Varianten umschalten. Cellist Alban Gerhardt empfiehlt James Bond, ist aber seit kurzem wie der beim serienmäßigen Tüdelüt angelangt. Marc Minkowskis Handy schließlich klingelt gar nicht. Es vibriert. Und alle Töne schweigen.

Robert Fraunholzer, 03.01.2015, RONDO Ausgabe 3 / 2006



Kommentare

Kommentar posten

Für diesen Artikel gibt es noch keine Kommentare.


Das könnte Sie auch interessieren

Gefragt

Christian Ludwig Mayer

Ruf des Waldes

„Unstillbare Neugier auf die Musiktraditionen aller Zeiten und Länder“ treibt diesen […]
zum Artikel

Pasticcio

Wenn das der Ex-Chef wüsste…

Gerade sind die Berliner Philharmoniker unter Simon Rattle von einer kleinen Konzerttournee […]
zum Artikel

Pasticcio

Zwei bis drei große M´s

Als im April 2016 im Leipziger Gewandhaus ein Gedenkkonzert gegeben wurde zu Ehren des im Vorjahr […]
zum Artikel


CD zum Sonntag

Ihre Wochenempfehlung der RONDO-Redaktion

Externer Inhalt - Spotify

An dieser Stelle finden Sie Inhalte eines Drittanbieters, die Sie mit einem Klick anzeigen lassen können.

Mit dem Laden des Audioplayers können personenbezogene Daten an den Dienst Spotify übermittelt werden. Mehr Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.

Der Komponist Giacomo Orefice (1865–1922) wuchs in einer jüdischen Familie im norditalienischen Vicenza auf und ist vor allem für sein Opernschaffen bekannt. Auch als Pädagoge macht er sich einen Namen, sein berühmtester Schüler war der Filmkomponist Nino Rota. Orefices bekanntestes Musiktheaterwerk ist „Chopin“, für das er die Klavierwerke des polnischen Komponisten orchestrierte. Seine eigene Klaviermusik umfasst überwiegend romantische Charakterstücke, die von Gedichten, […] mehr


Abo

Top