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N° 1297
18. - 24.03.2023

nächste Aktualisierung
am 25.03.2023



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Adam Bałdych

Wonne mit dem Bogen

Das Geigen-Kapitel der Jazz-Lexika ist übersichtlich. Jetzt erfährt es eine substanzielle Erweiterung: In New York macht der Franzose Scott Tixier von sich reden, und der aus Polen stammende Adam Bałdych schreibt auf Act Jazzgeschichte.

Neben Frankreich mit Jean-Luc Ponty, dem Godfather der modernen Jazz-Geige, ist Polen mit Michał Urbaniak und Zbigniew Seifert die andere große Jazzgeiger-Nation. Dort besuchte 1995 der neunjährige Bałdych zum ersten Mal eine Musikschule. Zwei Jahre später wechselte er vom Klavier zur Geige. Weitere zwei Jahre später wurde er vom Jazz-Bazillus befallen und mit 16 war er bereits international auf Tournee. Es folgte ein Studium in Boston am Berklee College und schließlich die Umsiedlung nach New York. Stets jedoch hielt er Kontakt zu Musikern seiner Heimat. Beim Berliner Jazzfest wurde er 2011 bejubelt, und die FA Z pries ihn als »zweifellos größten Geigentechniker des Jazz«.
Diese Ausnahmebegabung blieb auch Siggi Loch nicht verborgen. Zusammen mit Nils Landgren stellte er für den Polen eine maßgeschneiderte Studioband zusammen und produzierte ein außergewöhnliches Album für sein Echo-Preisträger- Label. Den Herkunftsländern der Musiker gemäß firmiert das Ensemble als The Baltic Gang. Dabei handelt es sich nicht etwa um eine Besetzung, die auf Bläser verzichtete, um die Geigenlinien nicht blass erscheinen zu lassen; nein, sie sucht vielmehr die komplementäre Konfrontation mit einer Trompete, gespielt vom finnischen Star Verneri Pohjola, und einem Saxofon, gespielt von Marius Neset. Nordische Weite und urbane Dichte ergeben sich als Spannungsfeld. Unterfüttert wird es von Jacob Karlzon am Klavier, dem begnadeten Lars Danielsson am Kontrabass (und Cello) und dem Meister vertrackt leichtfüßig lichter Rhythmik, Morten Lund, am Schlagzeug. Gewissermaßen als Sahnehäubchen steuert Co-Produzent Nils Landgren auf zwei Tracks eine wunderbar samtene Posaunenstimme bei.
Diese Baltic Gang ist also ein wahres Staraufgebot. Doch es ist alles andere als eine Allstar Jam Session entstanden. Adam Bałdych zeichnet als Komponist und Arrangeur des Programms verantwortlich. Ganz natürlich verbindet er wonnevoll elegisch Nordisches mit Eastcoast Sound und osteuropäischen Reminiszenzen. Die Stimmen sind dabei seinen Mitmusikern auf den Leib geschrieben. Nie drängt die Geige in den Vordergrund, sie ist vielmehr integrierter und gänzlich ebenbürtiger Teil des Bläsersatzes. Durch die so entstehende Dosierung des Streicherklanges, vor allem aber durch Bałdychs spezifischen Ton kommt nie dieser sägende Überdruss-Effekt auf, den das elektrisch verstärkte Instrument mitunter auf Dauer auch bei den größten seiner Kollegen auslöst. Bałdychs Bogen lässt die Geige singen, nicht aber im Sinne schluchzenden Belcantos, sondern vielmehr im Sinne eines Blues intonierenden Saxofons.
Ein Glück, dass dieses beglückende Studioprojekt auch live eine Umsetzung erfahren wird. Am 30. Juni ist Adam Bałdych & The Baltic Gang bei Jazz Baltic zu erleben.

Imaginary Room

Adam Baldych & The Baltic Gang

ACT/Edel

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Thomas Fitterling, 30.11.1999, RONDO Ausgabe 3 / 2012



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