Startseite · Interview · Blind gehört
So schnell habe ich das selten gehört. Knackig! Es ist wunderbar gespielt. Schön auch, dass die Themen ohne Vibrato gestaltet werden, dadurch bekommt es mehr Elastizität. Bei dieser Musik, die noch im 18. Jahrhundert wurzelt, entsteht die ganze Rhythmik aus den Bögen – ein Bogenstrich ist am Anfang einfach stärker als am Ende. Das ist hier großartig gemacht. Für Schubert braucht man ein stilsicheres Orchester. Man weiß in den Autografen oft nicht, ob Schubert ein Decrescendo oder einen Akzent gemeint hat. Bei Beethoven gibt es einige berühmte Fehler, aber sonst ist die Partiturlage klarer. Bei Schubert muss man überall ins Detail gehen. Und zwischen Dur und Moll liegen immer Welten. Beethoven gestaltet Wechsel viel energetischer, und dann fragen die Musiker auch bei Schubert: Was sollen wir jetzt lauter und was leiser spielen? Aber darum geht es nicht, das sind bei Schubert nur Farbänderungen. Es war für mich anfangs schwer Zugang zu Schubert zu finden, sogar als Sänger – ich habe gleichzeitig Dirigieren und Gesang studiert, Schumann hatte mich immer eher begeistert als Schubert. Ein wichtiger symphonischer Kontakt war mit Christoph Prégardien, Schubertlieder mit Orchesterbegleitung, da dachte ich, das ist sensationell. Und dann kamen zwei Sinfonien, die haben auch wunderbar geklappt. Ich finde sogar, Schubert geht in Kammerorchestergröße besser, das hört man auch hier bei dieser Aufnahme. Bei zu großen Orchestern ersäuft er leicht, weil die Strukturen filigraner sind als bei Beethoven und es gibt auch nicht den programmatischen Erzählduktus eines Mendelssohn. Schubert hat eine Innerlichkeit, die man sensibel suchen muss. Eine Schubert-Gesamtaufnahme mit dem Münchener Kammerorchester zu machen, das wäre mein großer Wunsch.
Schön, wenn Oboen auch senza vibrato spielen können. Die Intonation geht sehr schnell verloren, wenn alle vibrieren, dann hört man den Klang eigentlich nicht mehr. Das ist Musik, in der ich wirklich zuhause bin. Das meine ich auch geographisch als gebürtiger Regensburger. Meine intensive Studienzeit in München war auch geprägt von Celibidache bei den Philharmonikern, da hatte ich wunderbare Erlebnisse. Die beste Aufnahme ist seine Achte mit den Philharmonikern als Mitschnitt aus Tokio. Ich finde diese hier sehr klar strukturiert und sehr klar musiziert, aber die Trompeten sind ein bisschen zu scharf. Weil es so langsam ist, dachte ich am Anfang, das sei Celibidache. Aber das sind nicht die Münchner, Horn und Trompete sind hier so scharf, das kann ich mir nicht vorstellen. Doch? Live im Gasteig 1993? Da saß ich vermutlich im Publikum. Aber das hätte er selbst nicht veröffentlicht!
Es ist komisch, dass für den Cherubino immer ein nur Mezzosopran genommen wird, es steht Sopran in der Partitur. Wir haben heute die Ouvertüre geprobt, da ist die Sonne aufgegangen. Der Figaro ist für mich die sensationellste Mozart-Oper. Der hat die größte Energie. Wir machen beim Rundfunk in Polen gleich in der ersten Saison im Neujahrskonzert Figaro konzertant. Das ist Colin Davis? Bei ihm habe ich Mozart lieben gelernt, meine erste Assistenz war der Figaro bei ihm an der Theaterakademie in München. Vor zwei Jahren habe ich Le Nozze dann erstmals selbst gemacht, das war ein Rausch. Ich arbeite zweimal im Jahr an der Oper, das ist mir eine große Freude, aber damit reicht es auch. Als GMD hat man kaum noch Zeit für die symphonische Arbeit. Ich hatte viele gute Kommilitonen, die in den Opernhäusern »verbraten « worden sind. Die normale Karriere läuft in Deutschland immer noch übers Opernhaus, aber der Sprung nach ganz oben geht heute über die Assistenz. Das war ja mein Glück. Ich hatte den Kirill-Kondraschin-Preis gewonnen und wurde Assistent von Edo de Waart in Amsterdam. Ich bin im ersten Jahr fünfmal eingesprungen, weil er krank war. Und nachdem ich mit Bruckners Fünfter im Concertgebouw debütiert hatte, rief Covent Garden an, ob ich nicht Pfitzners Palästrina machen wollte.
Ich habe zu Hause einen Packen a-cappella-Noten von Penderecki liegen, die ich noch studieren muss. Ist das dabei? Chordirigieren ist schon etwas ganz anderes, aber ich habe zehn Jahre lang in Regensburg einen Chor geleitet und war Sänger, so bin ich selbst schon lange mit der Materie vertraut. Dieses Stück hier habe ich nie gemacht, ich kriege nicht mal raus, was das für eine Sprache ist. Russisch? Die Himmelsrichtung stimmt? Dann ist es klar. Süffige Moderne. Die Musik des ganzen Ostens hat diesen spirituellen Gehalt, den es in der deutschen Nachkriegsmoderne überhaupt nicht gegeben hat. Ich finde es wirklich schade, dass man hierzulande immer noch ein Problem mit dem Singen hat. Das Singen ist der zentrale Zugang zur Musik, ich habe durchs Singen als Kind zur Musik gefunden. Vieles in der Instrumentalmusik wie vorhin in der Probe der zweite Satz von Schumanns Klavierkonzert kann man sich eigentlich nur über Sprechen oder Singen erarbeiten... Es ist großartig, mit guten Komponisten wie Tigran Mansurian gemeinsam etwas zu entwickeln, und es gibt es unter den Komponisten viele spannende Leute. Das hält das Ganze wach. Ich finde allerdings, dass neue Werke in ein normales symphonisches Programm integriert sein müssen. Porträtkonzerte kann man spannend zusammenstellen. Aber man sollte nicht fünf neue Werke zusammenschmeißen, nur weil sie neu sind. Da fehlen mir die Kontraste. Was ich dem Publikum geben will? Beim Musizieren versetze ich mich nicht in den Zuhörer! Das Publikum ist selbstverständlich hochverehrt und herzlich eingeladen, aber ich mache die Musik, die mich interessiert und die ich für wichtig halte. Ich glaube auch, das Publikum möchte Leute erleben, die authentisch sind, und sich davon inspirieren lassen. Wenn man ausschließlich fragt: Was will das Publikum? und danach das Programm ausrichtet – der Schuss geht sicherlich nach hinten los.
Gute Musik! 70er Jahre? 50er? Ist das Lutosławski? Toll, das hat eine tolle Klangspannung. Lutosławski ist so strikt, aber zugleich so sinnlich, toll! Wie mir das Orchester gefällt? Dann ahne ich, welches das ist. Das war sehr gut gespielt. Ich war seit 2004 sechs Mal in Rundfunk in Kattowitz, es ist eine große Freude, mit dem Orchester zu arbeiten. Alle sind sehr bei der Sache, haben viel moderne Musik gemacht. Es herrscht eine Aufbruchstimmung. Es wird ein neuer Saal von Tomasz Konior gebaut, die Akustik wird von Herrn Toyota kreiert und es ist spannend, bei dem Prozess dabei zu sein. Lutosławski hat das Orchester oft dirigiert, er ist einer der besten Komponisten, die es gibt. Seine Werke haben so eine Brennschärfe, da ist nie zu viel. Das hat etwas sehr Klassisches – während bei Penderecki mehr Pathos mitschwingt. ... Es gibt viel Repertoire, das man mit Kammerorchester und mit großem Orchester machen kann, ich bin dagegen, das strikt zu trennen. Gute Kammerorchester können eine Energie erzeugen, die die meisten großen Orchester nicht mitbringen. Aber das Rundfunkorchester in Polen spielt immer auf der Stuhlkante. Ich mache mit ihnen an Lutosławskis Geburtstag ein Lutosławski- Konzert im Rundfunk, darauf freue ich mich.
Da sind so ein paar Film-Harmonien drin. Am Anfang dachte ich, vielleicht ist es ein Strauss, den ich nicht kenne, aber das glaube ich nicht. In Holland habe ich einige spätromantische Ausgrabungen z.B. Diepenbrock dirigiert. Man merkt, der Komponist konnte zwar gut instrumentieren, aber diese Musik führt im Kern nirgendwo hin, das erschöpft sich schnell. Da ist Lutosławski doch was ganz anderes! Man muss nicht alles wiederentdecken. Der musikhistorische Aspekt allein reicht nicht immer eine Aufführung zu rechtfertigen. Musik muss in allererster Linie gut und spannend sein, das gilt für die alte wie für die neue Musik.
Arnt Cobbers, 30.11.1999, RONDO Ausgabe 3 / 2012
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