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N° 1353
13. - 23.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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(c) Paul Moore/Sony

Bill Frisell

Die Welt hinter den Saiten

Über 60 und ein bisschen weise. Der Gitarrist, vor 30 Jahren als Jazz-Avantgardist gefeiert, spielt Hits seiner Kindheit.

Leise spricht Bill Frisell, vorsichtig tastend, den Worten nachhörend, Halbsätze unvollendet im Raum stehen lassend und ihnen mit dem Folgesatz doch noch einen Sinn gebend. Dreiundsechzig ist er jetzt und er sagt, er hoffe, dass er etwas rascher antworte als bei unserem ersten Interview 1988 während eines Festivals von Radio Bremen, auf dem er dank seiner ungewöhnlistechen Gitarrentechnik als Avantgardist vorgestellt wurde.
Seine Antworten kommen tatsächlich schneller. Damals, in den 1980ern, hatte er es zum Stilmittel erhoben, das Volume-Pedal beim Anreißen einer Gitarrensaite zu schließen und den Ton erst langsam durch Öffnen in die Freiheit zu entlassen. Dies gefalle ihm, denn als Neunjähriger habe er Klarinette spielen gelernt, und der Bläserton baue sich nun mal vom Leisen zum Starken auf. Auch wenn er das Instrument gewechselt habe, stecke dies tief in ihm drin.
Inzwischen hat er diese Besonderheit aufgegeben. „Nun gehöre ich auch nicht mehr zur Avantgarde“, lacht er. Schuld war eine Airline, bei der sein technisches Equipment verloren ging – er musste einen Festivalauftritt ohne das geliebte Pedal und die damit verbundene Elektronik durchstehen. „Da habe ich gemerkt, dass ich sie gar nicht brauche. Meine Finger, meine Vorstellungskraft: Das reicht völlig aus.“ Und so rüstete er zusehends ab. „Aber wer weiß: Vielleicht stöpsle ich das alles mal wieder ein. Dann bin ich wieder ein Avantgardist.“
Ihn belustigen die Schubladen, in die Journalisten und Fans die Künstler zu stecken versuchen. „Sie erfinden Etiketten wie Avantgarde oder Downtown, ECM-Stil, Americana, Country oder sonst einen Begriff. Für mich ist das alles gleichgültig. Ich spiele einen Ton, und der verlangt nach dem nächsten, und dann entstehen neue Ideen, was man ausprobieren könnte. Das war immer dasselbe. Die ganze Zeit über. Mit und ohne Pedal.“

Beethoven, Schönberg, Davis, Monk: Jim Hall öffnet ihm den Blick

Effektgeräte benützt er immer noch – aber nicht mehr im früheren Umfang. Die Musik aus dem Weltraum-Zeitalter, als die Amerikaner den Sputnik-Schock mit dem Flug zum Mond konterten, wäre ohne Gitarrenelektronik kaum denkbar – immerhin setzten sich die Fuzz, Wahwah, Delay gerade erst auf dem Markt durch. „Ich bin jetzt 63 und spielte rund 50 Jahre Gitarre“, sagt er. „Es war an der Zeit, mich an die Musik aus meiner Kindheit und Jugend zu erinnern. Damals hat mein Vater den ersten Fernseher angeschleppt: einen großen Kasten mit kleinem Bildschirm, auf dem Fernsehshows und Cartoons liefen und Serien wie ‚Twilight Zone‘ und Cowboy Shows. Ich erinnere mich noch an den Auftritt der Beatles in der Ed Sullivan Show.“ Darüber sprach man tagelang.
Mit feinem Gespür für die Balance zwischen Nostalgie, Niveau und eigenem Klangideal transportiert seine Band Rock-, Blues- und Surfklassiker in die Gegenwart. „Manche Tonfolgen hatte ich überhaupt nicht in den Fingern. Sie zu spielen, war wirklich schwer.“ Aber der Spaß, den vor allem er und der etwa gleichaltrige Steelgitarrist Greg Leisz verspürten, wog die Mühen der Umstellung auf. „Wir bekamen unsere erste elektrische Gitarre etwa zur selben Zeit“, plaudert er. „Beide eine Fender Mustang. So etwas verbindet.“
Im Team mit dem Bassisten Tony Scherr und dem Drummer Kenny Wollesen bescheren sie dem Bluesklassiker „Messin‘ With The Kid“, dem „Surfer Girl“ der Beach Boys, Duane Eddys „Rebel Rouser“, „Tired Of Waiting For You“ der Kinks, „Pipeline“ der Surf-Rockband „The Chantays“ und anderen Hits eine puristisch-schöne, schnörkellose Wiedergeburt. Da wimmern und jaulen die Gitarren, dass es eine Freude ist. Beethoven, Schönberg, Davis, Monk: Jim Hall öffnet ihm den Blick
Selbst mit einer Band gecovert hat er die Hits damals nicht. Er mochte zwar die Surf-Music, aber die Beatles ersetzten diese Begeisterung rasch. Schon nach zwei Jahren Gitarrenspiel faszinierte ihn Jimi Hendrix, und vier Jahren nach den ersten Versuchen war er bei der Musik von Miles Davis und Wes Montgomery gelandet. Wenig später hatte er Unterricht bei der Gitarrenlegende Jim Hall.
Was der ihn lehrte? „Wir redeten über Beethoven, Schönberg, Sonny Rollins, Miles Davis, Thelonious Monk.“ Oder, anders formuliert: Jim Hall erschloss ihm eine Welt jenseits der sechs Gitarrensaiten. „Amerikanische Musik ist nicht nur der Jazz. Es gibt auch Aaron Copland und Charles Ives. Und John Cage, Leonard Bernstein oder George Gershwin. Aber auch Pete Seeger und Robert Johnson. Und vieles kam aus Europa herüber. Ich glaube nicht, dass man das voneinander trennen sollte. Die Musik wischt diese Grenzen weg.“ Seine Platte „Have A Little Faith“ vereinte 1992 ein entsprechend breites Repertoire, bevor er sich in den folgenden Jahren zusehends der Countrymusik näherte.
In ihm selbst blieb lebendig, was er als zehnjähriger Klarinettist in einem Holzbläserensemble erfahren hatte: zum einen, wie bei ausgewogener Lautstärke die Töne der Instrumente verschmelzen, und zum anderen, wie der aufgebaute Luftstrom einen Druck im Körper voraussetzt, durch den man den Ton zwingt, herauszukommen.“ Dieses Gefühl habe er immer noch, wenn er Gitarre spiele. „Ich beobachte, dass ich wie ein Bläser atme. Es sind nicht nur meine Finger, die sich bewegen, das ist mein ganzer Körper.“

Neu erschienen:

Guitar In The Space Age

Bill Frisell

Okeh/Sony

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„Je tiefer man in die Musik eindringt, umso weniger kann man Grenzen erkennen. Bach improvisierte. Und Beethoven. Und Liszt. Und Charlie Parker. Alles baut aufeinander auf. Musik ist eine Frage der langen Perspektive, sehr viel länger als ein einzelnes Leben. Die Arbeiter, die an Notre Dame gebaut haben, die haben einen kleinen Beitrag geleistet und wussten, dass die Kathedrale in ihrem Leben nicht fertig gestellt werden würde. So ist es mit der Musik. Man muss das Beste tun, das man kann, und dann muss man es weitergeben.“ Bill Frisell

Werner Stiefele, 01.11.2014, RONDO Ausgabe 5 / 2014



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