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(c) Benjamin Amure
Die Premiere sendete starke Signale aus: Als 1964 zum ersten Mal die Berliner Jazztage unter der Leitung von Joachim-Ernst Berendt stattfanden, schrieb niemand Geringeres als Martin Luther King das Geleitwort für die Veranstaltung, und Herbert von Karajan wurde der Zutritt zu seinem Arbeitsplatz verweigert. Zumindest für zwei Tage regierte in der Berliner Philharmonie nicht die Klassik, sondern der Jazz von Miles Davis, Dave Brubeck und Coleman Hawkins. Die unmissverständliche Botschaft lautete: Die improvisierte Musik war in Deutschland endlich salonfähig geworden. Und die nur einen Trompetenwurf von der Mauer stattfindenden Jazztage zeigten, gewissermaßen als ästhetische Luftbrücke, dass Meinungsvielfalt und Freiheitsliebe im westlichen Nachkriegsdeutschland keine Fremdwörter mehr waren.
Das führte mitunter zu skurrilen Szenen in der Berliner Philharmonie: Mal enterten US-Stars wie der Saxofonist Ben Webster volltrunken die Bühne, weil die Wiedersehensfreude mit den transatlantischen Jam-Partnern hinter den Kulissen begossen werden musste, mal bewarf man sie mit Klopapierrollen. So widerfuhr es der Sängerin Sarah Vaughan, der man bei ihrem Auftritt 1969 zu Vietnam-Kriegs-Zeiten wohlfeilen Eskapismus vorwarf. Als Carla Bley 1979 als Reaktion auf die notorischen Unmutsbekundungen des Berliner Publikums den Song „Boo To You, Too“ aufführte, fanden sich freilich nicht genug Störenfriede in der Philharmonie, weshalb Festivalleiter George Gruntz mit ein paar Freunden im Rang selber für die in der Partitur vorgesehenen Buhrufe sorgen musste. Bei den Berliner Jazztagen, die 1981 in JazzFest umbenannt wurden, war immer etwas los.
Die permanente Erregung ist bei dem lange Zeit wichtigsten Festival dieser Art in Europa inzwischen einem souveränen Umgang mit den aktuellen Strömungen des Jazzbetriebs gewichen. Kritik entzündet sich seit der Jahrtausendwende höchstens noch daran, ob zu viele oder zu wenige amerikanische Gaststars an die Spree eingeladen wurden. Bert Noglik, nach Berendt, Gruntz, Albert Mangelsdorff, Nils Landgren, John Corbett und Peter Schulze der gegenwärtige JazzFest-Kurator, fand in seinen Programmen bislang die genau richtige Mischung aus Prominenten-Aufkommen, Experimentierfreude und historisch-kritischer Auseinandersetzung mit dem Genre.
Die Ausgabe zum 50. Geburtstag des Berliner JazzFests, als dessen Hauptspielort mittlerweile das Haus der Berliner Festspiele in Wilmersdorf fungiert, macht da keine Ausnahme. Konzerte von US-Größen wie Kurt Elling, Jason Moran oder dem 85-jährigen Benny Golson wechseln sich mit Versuchsanordnungen von altbekannten oder juvenilen Bilderstürmern wie Elliott Sharp, Alexander von Schlippenbach, Soweto Kinch oder „Get The Blessing“ ab. Und mit dem Schlagzeuger Daniel Humair präsentiert sich auch ein Musiker auf dem Festival, der schon 1964 zu Beginn der 50-jährigen Erfolgsgeschichte dabei war. Angesichts des mittlerweile gereiften Publikums, das dem Berliner JazzFest verlässlich hohe Besucherzahlen beschert, muss er nicht mit Klopapier- Attacken rechnen.
Programm unter www.berlinerfestspiele.de/
jazzfest
Tickets: www.berlinerfestspiele.de/tickets oder Tel +49 (0 30) 25 48 91 00
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