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Der Mann mit dem englischen Humor gehört nicht zu denjenigen, die in der Einsamkeit des Gipfels allein das stumme Zwiegespräch mit sich selbst, mit Gott und dem Komponisten suchen. Zwar gibt Holloway zu, das Projekt letztlich nur für sich selbst gemacht zu haben – Paralleleinspielungen der Solosuiten gäbe es schließlich genug. Ganz im Gegensatz zu den Violinsonaten von Veracini, mit denen er sich zuvor beschäftigt hatte und die nach seiner Ansicht mindestens vier weitere Einspielungen verdienen würden, damit man ein wirklich facettenreiches Bild der musikalischen Persönlichkeit des Komponisten gewinnen könne. Und doch: Dem Angebot, Bachs legendäre Sonaten einzuspielen, konnte sich Holloway nicht entziehen: „Wenn man glaubt, dass man eine gewisse Kompetenz besitzt“, sagt er, „dann muss man das machen.“
Mit einer ganz eigenen Mischung von Begeisterung und Ironie beschreibt Holloway die Atmosphäre bei den Aufnahmesessions in der legendären, hoch über dem Walsertal gelegenen Kirche St. Gerold, in der schon Jan Garbarek und das Hilliard Ensemble ihre „Officium“- CD einspielten: Begeistert von der Aussicht über das Tal, der Natur, der Betreuung durch das von ihm flugs mit Mönchsnamen belegte Aufnahmeteam, aber auch mit Blick auf hässliche moderne Inneneinbauten und vor allem im Widerstreit mit dem Mikrofon, das er nur schwer als Publikumsersatz akzeptieren kann: „Für wen spiele ich, wem erzähle ich das alles?“, klagt er in possierlich gespielter Verzweiflung: „Mir? – Aber ich kenne mich doch!“
Dass die Aufnahme rein gar nichts von der Skepsis gegenüber dem Mikrofon spüren lässt, sondern im Gegenteil gerade auch wegen ihrer unmittelbaren Lebendigkeit und Frische aus der Masse der Paralleleinspielungen herausragt, das dürfte wohl auch an der Art und Weise liegen, mit der sich Holloway für seinen Aufstieg in die einsame Höhe vorbereitet hat. So absolvierte er, der sich diese Musik einfach nicht ohne Publikum vorstellen mag, zuvor einen ganzen Marathon von Liveauftritten: „Ich habe 20 Konzerte gegeben. Zum Schluss sogar das ganze Programm an einem Abend – das war schon ein bisschen crazy.“ Gleichzeitig opferte Holloway, der als Professor an der Dresdner Musikhochschule lehrt, ein halbes Sabbatjahr zur privaten Vorbereitung auf das Projekt. Alle Schallplattenaufnahmen der Bachsoli wanderten für diese Zeit in den Schrank – und alle Notenausgaben auch. Denn Holloway setzte sich zur Aufgabe, das Werk aus der Reproduktion von Bachs Handschrift zu spielen. Wobei der Violinprofessor, der bei seiner Interpretation jeden einzelnen Bindebogen beachtete, auch dem Lehrer Bach begegnete: „Bis auf eine einzige Ausnahme enthalten die Stücke sämtliche Stricharten“, schwärmt er. Weshalb ihm denn auch das Bach’sche Wort „Übung“ für die Sonaten und Partiten wohl noch besser gefällt als „Mount Everest“. „Übung“ bedeutete dabei nicht Etüde, erklärt Holloway – schließlich habe Bach den Begriff auch auf seine Goldbergvariationen oder das Italienische Konzert angewandt. Die Übung, die Bach meinte, war umfassender: Er habe zeigen wollen, was man mit einem Bogen und vier Saiten machen könne: als Spieler, als Komponist und auch ganz pragmatisch als Lehrer.
Gibt es eine Frage, die Holloway Bach gerne stellen würde? Der Geiger lacht – und sagt plötzlich, einen imaginären Thomaskantor anschauend: „Verstehen Sie mich überhaupt?“ Wie eine Fremdsprache, so erklärt uns Holloway, müsse man die Musik der Bachzeit nämlich heute lernen – weshalb sein Wissensdurst nach Informationen über Spieltechniken, Instrumente und Mentalität der Barockzeit denn auch ungebrochen groß ist. Auch die zweite Frage, die Holloway einfällt, ist charakteristisch für den kritischen Violinvirtuosen: „Ich möchte gerne wissen“, sagt Holloway, „wie Bach genau den Punkt fand, an dem ein Mehr an virtuosen Effekten der Wirkung der Stücke geschadet hätte.“ Doch dann seufzt er, wischt seine Fragen mit der Hand weg und sagt leise bittend: „Ach, ich würde ihn einfach fragen, ob er für mich Orgel spielen würde ...“
Carsten Niemann, 11.10.2014, RONDO Ausgabe 6 / 2006
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