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Ob wir Angst vor Hunden hätten, wurden wir vorsorglich gefragt, als wir den Termin für das Interview mit Marijana Mijanović ausmachten. Doch das mulmige Gefühl, mit dem wir uns darauf dem Treffpunkt nähern, ist unberechtigt: Max, wie das flauschige kleine Etwas an der Seite der jungen Altistin heißt, ist ein freundlicher, neugieriger, unkomplizierter Theaterhund und beileibe keine Divenwaffe, die sich auf vorwitzige Journalisten stürzt. Sie habe sich Max zugelegt, als es Ernst wurde mit ihrer Karriere, erzählt die große, schlanke Sängerin mit den wachen, tiefbraunen Augen: „Ich wollte damals noch keine Kinder haben, und außerdem kann man als Solist auch ziemlich einsam sein. Und da dachte ich mir, es wäre gut, jemanden zu haben, für den ich Verantwortung übernehmen muss.“
Während Max es sich zu ihren Füßen gemütlich macht, berichtet Mijanović, wie sie den Verlauf ihrer Karriere erlebte, die keineswegs vorgezeichnet war. „Ich stamme aus einer Ingenieursfamilie“, erzählt die aus dem serbischen Valjevo stammende Sängerin. Nach der Schule ging sie zunächst nach Belgrad, um dort Klavier zu studieren. „Wir Klavierstudenten haben die Sänger immer ein bisschen beneidet. Die wirkten so locker. Aber wenn man nicht fünf Stunden am Tag übt, dachten wir, ist es nichts wert.“ Irgendwann habe sie dann entdeckt, dass man als Klavierstudent später entweder Solist oder Lehrer wird. Die ehrgeizige Musikerin gesteht: „Das war ein Schock!“
Dass sich für sie ein noch viel spannenderer dritter Weg eröffnete, verdankt Mijanović einer Gesangslehrerin aus Serbien. „Ich selbst war mir der Besonderheit meiner Stimme gar nicht bewusst“, sagt sie in ihrem auch beim Sprechen frappierend wohlklingenden, dunklen und leicht männlich gefärbten Ton. Die Professorin ermutigte Mijanović nicht nur, ihre Stimme auszubilden, sondern schickte sie noch dazu zu einem Wettbewerb, den Mijanović zu ihrem eigenen Erstaunen gewann. Ihre Stiefmutter, die in einem Laden in den Niederlanden arbeitete, ermöglichte es ihr mit ihren eigenen knappen finanziellen Mitteln, 1994 zur Ausbildung am Sweelinck-Konservatorium nach Amsterdam zu ziehen – fern der kriegserschütterten Heimat. „You make it or you break it“, kommentiert Mijanović lakonisch die durchaus nicht lockere Zeit als Gesangsstudentin. Doch wieder führte Mijanovićs Hartnäckigkeit zu einem Glückstreffer. Eines Tages habe ihr die Sängerin Sophie Daneman vorgeschlagen, sie „Bill“ vorzustellen. „Wer ist Bill?“, habe sie erst einmal gefragt. Welche Bedeutung der „Bill“ gerufene William Christie nicht nur als Spezialist für Alte Musik, sondern auch als Talentscout für junge Sänger besitzt, davon konnte sich Mijanović bald selbst überzeugen. Als sie im Jahr 2000 unter seiner Leitung ihr Debüt als Penelope in Monteverdis „Il ritorno d’Ulisse in patria“ beim Festival von Aix en Provence gab, hagelte es Angebote.
Mittlerweile hat Mijanović mit so ziemlich jedem Dirigenten zusammengearbeitet, der in der Alten Musik Rang und Namen hat. Ob René Jacobs, Paul McCreesh, Christophe Rousset, Emmanuelle Haïm, Marc Minkowski, Alan Curtis, Ottavio Dantone, Fabio Biondi oder Nikolaus Harnoncourt: Sie alle ließen sich von Mijanovićs koloraturfestem, ausdruckskräftigen und androgynen Alt faszinieren, einer Stimme, die besonders dem Repertoire der legendären Kastraten eine überzeugend neue Farbe verleiht. Mijanovićs erste Solo-CD ist dem Repertoire eines Kastraten gewidmet: Senesino, einem der wichtigsten Sänger Händels, der besonders im heroischen Fach brillierte. Ihr Anliegen sei es allerdings nicht, die Kunst einer historischen Sängerpersönlichkeit zu rekonstruieren, stellt die Sängerin klar. Mijanovićs Credo lautet: „Man kann eine Rolle nur glaubhaft von innen gestalten – und Händels Figuren halten alle denkbaren heutigen Emotionen bereit.“
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