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RONDO: Signora Bartoli, Ihr neues Album haben Sie der legendären Primadonna Maria Malibran gewidmet. Spüren Sie da eine Seelenverwandtschaft über 180 Jahre hinweg?
Cecilia Bartoli: Die Faszination für Maria Malibran hat mich durch meine ganze Karriere begleitet. Mit 20 bekam ich von meinem Produzenten einen alten Stich mit ihrem Porträt geschenkt – da wusste ich noch überhaupt nicht, dass diese Frau die Ikone der romantischen Oper war. Aber dann begann ich mich mehr und mehr mit ihr zu beschäftigen und Dinge zu sammeln, die mit ihr in Zusammenhang standen: Briefe, Gegenstände und Noten – Musik, die für sie geschrieben wurde wie auch ihre eigenen Kompositionen. Und irgendwann entstand dann auch die Idee, den Leuten Marias Leben nahe zu bringen: Durch das Album und durch ein rollendes Museum. Das ist ein umgebauter Truck, mit dem ich im Herbst durch Europa fahren und meine Malibran-Sammlung zeigen werde.
RONDO: Was für ein Mensch war denn die Malibran?
Bartoli: Auf jeden Fall ein sehr extremer. Obwohl sie ja körperlich eine zierliche Konstitution hatte, muss sie einen starken Willen besessen haben. Schon aus ihrer frühen Heirat spricht ja vor allem der Unabhängigkeitsdrang: Sie nahm diesen Herrn Malibran wohl vor allem, um dem Regiment ihres Vaters zu entfliehen. Und dann ging sie allein von Amerika nach Paris, um dort Karriere zu machen. Ähnlich wie ihre Freundin George Sand war sie ein frühes Beispiel für eine emanzipierte Frau. Sogar Hosen hat sie getragen, was damals natürlich shocking war!
RONDO: Fühlen Sie sich der Malibran ähnlich – stimmlich wie charakterlich?
Bartoli: Charakterlich ähnele ich wohl mehr der zurückhaltenderen, vorsichtigeren Pauline Viardot- Garcia, die ja auch eine berühmte Sängerin und Komponistin war. Auf meinem französischen Liederalbum habe ich vor Urzeiten sogar mal einige Lieder von Pauline aufgenommen. Stimmlich allerdings fühle ich mich dem über drei Oktaven reichenden Mezzosopran der Malibran viel näher. Meine Entwicklung verlief sogar ähnlich wie die Marias: Wir beide haben früh mit Rossinis Rosina angefangen – sie mit 17, ich mit 19. Dann sind wir beide den Weg zurück zu Mozart und zur Barockoper gegangen – die Malibran hat damals noch Händelarien mit dem letzten großen Kastraten Giambattista Vellutti gesungen. Und schließlich sind wir dann beide bei Bellini und der romantischen Oper gelandet.
RONDO: Bedeutet das, dass wir ab jetzt eine neue Bartoli erleben werden: Cecilia, die romantische Heldin?
Bartoli: Für mich ist das mehr ein Anknüpfen an meine Anfänge – Rossini steht ja schon an der Schwelle vom Klassizismus zur Romantik. Wenn ich jetzt mit viel mehr Wissen und Ausdrucksvermögen zu diesem Repertoire zurückkehre, singe ich Belcanto mit einer neuen Vision: Zurück zu den Anfängen des Belcanto, um ihn den Mezzosopranen zurückzugeben, für die die Opern Bellinis eigentlich geschrieben wurden.
RONDO: Aha …
Bartoli: Schauen Sie sich die Interpretinnen an, für die diese Opern geschrieben wurden: Sowohl die Malibran wie auch ihre Konkurrentin Giuditta Pasta waren Mezzosoprane – selbst Norma ist also ursprünglich gar keine Sopranpartie. Das alles kam erst später, als Sängerinnen wie Callas und Sutherland diese Rollen dem Vergessen entrissen und für ihre Soprane adaptierten – beispielsweise durch hoch liegende Verzierungen. Schaut man sich eine Rolle wie Norma aber genau an, sieht man, dass vieles ziemlich tief liegt – zu tief für die meisten Soprane, um noch klare Vokale singen zu können.
RONDO: Verändert sich der Charakter dieser Rollen, wenn sie von einem Mezzosopran gesungen werden?
Bartoli: Zuerst ändert sich einmal der Klang. Der Ton wird samtiger, fülliger. Darüber hinaus werden die Bellinifrauen aber auch weiblicher, sind keine rein ätherischen Wesen, sondern bekommen Sinnlichkeit, Sexappeal und Temperament. Nehmen Sie die Amina aus der „Sonnambula“, die ich gerade mit Juan Diego Flórez aufnehme: Das ist nicht das hilflose Geschöpf, das sich nicht erklären kann. Stattdessen merkt man, dass es die Leute im Dorf sind, die ihren Erklärungsversuchen einfach nicht zuhören wollen. Das ist wie bei den ganz aktuellen Geschichten missbrauchter Kinder, bei denen sich die Umgebung oft taub stellt und die Wahrheit nicht zur Kenntnis nehmen will.
RONDO: Seit den Zeiten Arturo Toscaninis gilt es als Sakrileg, wenn Sänger ihre Partien verändern, um sie ihren Stimmen anzupassen. Starten Sie mit Ihren Malibran- Spezialversionen nun ein Roll Back?
Bartoli: Ich kann Toscaninis Standpunkt gut verstehen: Gerade aus meiner Erfahrung mit Barockoper weiß ich, wie sehr früher die Sänger Arien entstellt haben, um besser zur Geltung zu kommen. Und gerade bei Bellini muss man sehr vorsichtig sein, weil mit jeder Tonart ein ganz besonderer Gefühlsund Stimmungswert verbunden ist. Solche Operationen sollte man nur mit Stil- und Verantwortungsbewusstsein vor nehmen.
RONDO: Sie haben Ihr Malibran-Album mit einem Orchester aufgenommen, das auf historischen Instrumenten spielt. Gehört das auch zu Ihrer neuen Belcantovision?
Bartoli: Es ist sogar ein ganz wesentlicher Bestandteil davon. Wir machen jetzt mit dem Belcanto das, was Harnoncourt vor 20, 30 Jahren mit dem barocken und klassischen Repertoire gemacht hat. Sehen Sie, die modernen Streichinstrumente haben zwar Stahlsaiten, aber unsere Stimmbänder haben sich in den letzten 100 Jahren nicht geändert. Deshalb ist es meiner Ansicht nach richtig, zu den ursprünglichen Klang- und Balanceverhältnissen zurückzugehen. Und ich glaube, die Leute werden diesen neuen Belcantostil schätzen. Wenn auch vielleicht erst in 20 Jahren.
RONDO: In einem Stück auf Ihrem neuen Album hört man Sie sogar jodeln. Hat die Trillerkönigin Bartoli jetzt ein Jodeldiplom erworben?
Bartoli: Das ist schon etwas völlig Anderes als klassische Triller zu singen: Beim Jodeln muss man den Kehlkopf wie einen Fahrstuhl rauf- und runterbewegen. Das ist schon ziemlich anstrengend, wenn man es nicht gewohnt ist, und ich war fasziniert, dass meine Jodellehrerin das offenbar endlos konnte. Aber keine Sorge: Ich habe keine Ambitionen, die neue „Queen of Yodelling“ zu werden.
Geboren wurde sie als Maria Felicia García, und von ihrem Vater, dem berühmten Tenor Manuel García, erbte sie nicht nur das Talent, sondern auch das Temperament: Als leidenschaftliche Darstellerin, die selbst vor Männerrollen wie dem „Otello“ nicht zurückschreckte, als Sängerin, die Rossini und Bellini zu Hymnen hinriss, und als femme scandaleuse, die in wilder Ehe mit dem berühmten Violinvirtuosen Charles de Bériot zusammenlebte, wurde Maria Malibran zum Inbegriff der romantischen Operndiva. Zahllose Anekdoten ranken sich um das Leben der 1808 in Paris geborenen Mezzosopranistin: Um ihre ersten Auftritte als Teenager in den Vereinigten Staaten, wo die Operntruppe ihres Vaters Rossinis „Barbier“ und Mozarts „Don Giovanni“ aufführte. Um ihre Triumphe im Paris Louis Philippes und in den Hauptstädten Europas, und natürlich auch um ihren frühen Tod, der sie vollends zur Legendengestalt werden ließ: Mit erst 28 Jahren starb die Malibran hochschwanger an den Folgen eines Reitunfalls.
Jörg Königsdorf, 19.07.2014, RONDO Ausgabe 4 / 2007
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