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Wer noch mit 36 Jahren die Familie zum Reisen braucht (und diese sogar um die Klavierlehrerin erweitert hat), gilt gemeinhin als unselbständig. Evgeny Kissin, der Wohnsitze in London, Paris und New York unterhält, bekennt sich offensiv dazu. Das Klischee stimmt. Kissins künftige Ehefrau muss wissen, worauf sie sich einlässt. „Je älter ich werde, desto mehr verabscheue ich es, allein zu sein. Ich hoffe nur, eine Frau zu finden, die mit uns gemeinsam lebt. Wenn ich heirate, zieht meine Frau hoffentlich bei uns ein.“
Kissin ist berüchtigt dafür, Journalisten auflaufen zu lassen. Fällt ihm zum Thema nichts ein, schweigt er. Spricht er nicht, gähnt er. Ist Kissin in Wirklichkeit ein Enttäuschter, der vor der Öffentlichkeit „dicht“ gemacht hat?
„Ja, leider. Vor etwa sieben Jahren traf ich einen Journalisten und sprach sehr offen mit ihm. Danach schrieb er, ich hätte ihm nichts erzählt. Er fragte mich, was ich für Musikerfreunde habe. Ich antwortete: Wenig berühmte. Da schrieb er: Kissin lebt unberührt von menschlichen Kontakten. Das verfolgt mich bis heute. Ich komme nicht darüber hinweg.“
Kissins Aura profitiert immer noch vom Rätselhaften, kindlich Unverbildeten. Vom Zauber der Hyperbegabung. Ist er stehengeblieben? Oder hat sich der Mythos des Wunderkinds unter der Hand in Arbeit verwandelt?
„Ich übe viel mehr als vor 15 Jahren. Mir wird nichts geschenkt. Um das einzusehen, brauche ich nicht einmal meine Klavierlehrerin. Das höre ich selbst. Da ich ehrgeizig bin, ist das Üben der Preis, den ich dafür zahlen muss.“
Russische Pianisten können Tschaikowski, Chopin und Skrjabin. Doch wie sieht es mit Schumann und Mozart aus? Gerade ihnen widmet Kissin jetzt eine neue CD.
„Beethoven fand ich viele Jahre sehr schwer. Ich habe Fortschritte gemacht. Die fünf Konzerte haben dabei die wichtigste Rolle gespielt. Dass russische Pianisten nur slawisches Repertoire spielen können, ist aber ein unerträgliches Vorurteil. Gilels und Richter liefern Gegenbeispiele dazu. Ich hoffentlich auch.“
Oft wurde Kissin als „Romantiker“ stilisiert – auch von ihm selbst. Was bedeutet das? Eine Schwäche für Schubert, Kerzenbeleuchtung und Sonnenuntergang?
„Ich weiß es auch nicht. Ich mag alte Gebäude. Ich bin anfällig für Schönes. Es betrifft meine ganze Einstellung zum Leben und zu den Menschen. Für eine bessere Erklärung bräuchte auch ich ein Lexikon. Aber ich fürchte: Da steht auch nicht viel drin.“
Wer würde schon gern neben Beethoven wohnen? Auf Dauer niemand. Auch Kissin dürfte kein leiser Nachbar sein. Oder doch?
„Ich hatte schon oft Ärger. Als Kind in Moskau hatten wir dünne Wände und KGB-Leute im Haus. Es gab Besuch von der Polizei. Zufälligerweise probte ich gerade im Kreml. Da salutierte der Polizist: „Ihr Sohn hat bisher gespielt, Ihr Sohn wird weiter spielen.“ Im „Ansonia“-Gebäude am Broadway, wo ich wohne, haben früher Mahler, Caruso und Schaljapin logiert. Dort gibt es überhaupt keine Probleme.“
„Wer Klavier spielt, hat Glück bei den Frau’n …“, sagt man. Stimmt das? Spielt Kissin für Liebschaften etwa Klavier?
„Gewiss doch. Ich würde mal sagen: Etwas Kürzeres (lacht). (Singt auf Deutsch:) ‚Man müsste Klavier spielen können, wer Klavier spielt, hat Glück bei den Frau’n.‘ Ich bin nie als Popstar behandelt worden. Trotzdem habe ich unter zu wenig Erfolg bei Frauen nie zu leiden gehabt. Ich bekomme auch etliche Briefe. Es wird aber nie was daraus.“
Robert Fraunholzer, 19.07.2014, RONDO Ausgabe 4 / 2007
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