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Aufgeräumt und mit flottem Schritt, als sei er auf dem Weg zu einer spannenden Opernprobe, stapft Werner Güra mit uns die Treppe hinauf. Fast wäre er zu spät gekommen, erzählt er beiläufig, kleiner Bagatellunfall, kein Sachschaden – aber die Formalitäten. Es ist nicht seine Tür, die er aufschließt: Gerade ist er nämlich von Berlin nach Zürich umgezogen, wo er als Professor eine Gesangsklasse übernommen hat. Doch bei seinen Berliner Freunden ist auch im Vorweihnachtstress Platz für Koffer und einen neugierigen Journalisten. Falsche Dramatik ist auch dem Sänger Güra fremd, denkt man sich, während jener ruhig zwei Gläser Wasser aus der Küche holt. Wenn er mit Schubert über Liebeskummer klagt, dann braucht er nur einen kleinen Schatten der Enttäuschung über seine wunderbar helle, ausgeglichene Stimme huschen zu lassen. Wenn er dagegen in Wolfs »Feuerreiter « das Bild der brennenden Mühle heraufbeschwört, dann kennt er auch keine falsche Distanz.
Den selbstverständlichen Umgang mit dem musikalisch ausgedrückten Gefühl hat der 1964 geborene Sänger von zuhause mitbekommen: Über seinen Vater, Tubaspieler an der Münchener Staatsoper, begeisterte er sich für die Welt der Wagneroper. Mit elf Jahren wurde Güra zum Regensburger Domspatz: »Dadurch war man praktisch in einem Sog musikalischen Lebens«, erzählt er, »und wenn man in der Schule keine Probleme hatte, konnte man endlos Instrumente lernen. Das war ganz toll! Und dann«, fährt er begeistert fort, »dann gab‘s auch noch einen sehr guten Stimmbildner, Richard Brünner hieß der. Das war für uns Buben das Nonplusultra. Ein beachtlicher Sänger, der eine tolle Tenorkarriere hingelegt hat – und der hat uns richtigen Gesangsunterricht gegeben! Nach dem Stimmbruch«, erinnert sich Güra amüsiert, »haben wir sogar Strausslieder gesungen. Vieles, was wir uns jetzt nicht mehr trauen, haben wir ohne große Schamgefühle gemacht.« Beim Gesangsstudium bei Kurt Widmer später und überdies während seiner Karriere als einer der gefragtesten Opern-, Lied und Konzertsänger seiner Generation, hat Güra zwar Respekt vor den Ansprüchen eines Werks gelernt, doch ohne den Mut, an die Grenzen zu gehen, kann er sich seinen Job nicht vorstellen: »Ich bin ja auch begeisterter Motorradfahrer«, verrät er uns. »Da heißt es: Wenn man die Kurve geschafft hat, war man zu langsam – und wenn man sie nicht geschafft hat, war man zu schnell. Beim Singen ist das absolut ähnlich.«
In der Musik liegen für Güra die aufregendsten Kurven beim Liederabend – von der Ausdehnung der »Partie« über die kreative Zusammenstellung des Programms bis hin zur engen Zusammenarbeit mit einem selbst gewählten Partner: »Wenn der zu einem passt und man selbst einen guten Abend hat, dann kann wirklich etwas Tolles entstehen.« Vom Opernalltag ist Güra dagegen oft ernüchtert: »Da wird versucht, alles zur Premiere hinzukriegen, aber du bist weit davon entfernt, etwas auszuprobieren.« Innere Freiheit sei aber auch für die Rolle des singenden Erzählers wichtig, weiß Güra. »Ich finde, dass bei Liedern oft viel zu viel gedacht wird – denn egal, was du erzählen willst, du musst es von deiner Emotion her erzählen.« Wie man dabei trotzdem den Kontakt zum Publikum hält, könne man an Kindern beobachten: »Ich habe eine Zeit lang Kindern frei erfundene Geschichten erzählt. Natürlich kamen dann auch immer Stellen, an denen ich nicht mehr weiterwusste, aber in dem Moment, in dem ich ein bisschen locker ließ, brachten die Kinder plötzlich selbst Beispiele, wie es weitergehen könnte.« Diese lebendige Spannung sollte auch ein guter Liedsänger erzeugen können: »Man muss auch ein bisschen Platz lassen, dass der Zuhörer noch seine eigenen Fantasien unterbringen kann. Sonst drückst du nur einen Stempel auf die Interpretation, und ein Stempel heißt immer: Das ist erledigt.«
harmonia mundi
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