Eigentlich boomte Georg Friedrich Händel schon immer. Schließlich durften sein »Largo«, sein Messias-»Hallelujah« oder seine »Feuerwerksmusik « noch nie auf einem repräsentativen Barocksampler fehlen. Doch mittlerweile ist ein regelrechter Händelruck durch den Klassikbetrieb gegangen. »Das hängt mit der Sehnsucht nach einer melodischen Linie, aber auch mit einem Bedürfnis nach Harmonie zusammen«, so Hans- Georg Hofmanns Überlegungen zur aktuellen Händelmode. »Händels Musik äußert sich bei all ihrer Komplexität als eine klare Sprache der Leidenschaften – und damit spricht sie uns gestresste und vom Medienzeitalter beeinflusste Menschen vielleicht mehr an als andere Musik.« Ganz falsch liegt Hofmann damit wohl nicht. Immerhin verstreicht in Deutschland keine Opernsaison mehr ohne eine neue Händelproduktion. Und kaum ein Monat scheint zu vergehen, in dem nicht ein Arienrezital veröffentlicht wird. Doch natürlich schlummert in dem riesigen Händelfundus mit seinen allein rund 2.000 Arien, die sich u.a. auf knapp 80 Opern, Oratorien, Oden und Serenaden verteilen, noch vieles Unbekannte. Was gerade bei einem eingefleischten Händelfan wie Hofmann entsprechende Glücksgefühle auslöst. Denn er besitzt nicht nur die nötige musikwissenschaftliche Spürnase, die schon während seiner Studentenzeit am Hallenser Händelhaus ausgebildet wurde. Als Konzertdramaturg beim Kammerorchester Basel kann der 39-Jährige seit nunmehr sieben Jahren die neuesten Händelerkenntnisse sofort in die musikalische Praxis umsetzen lassen. 2004 war das so, als er mit dem Dirigenten Paul Goodwin die erste Aufführung von Händels Oper »Lotario« nach 300 Jahren ermöglichte.
Und nachdem die Krönungsoper »Riccardo Primo« im letzten Jahr während der Händelfestspiele in Halle präsentiert worden ist, liegt jetzt die Ersteinspielung der zweiten Fassung auf der Basis der Neuen Hallischen Händel- Ausgabe vor. Hofmann: »Beim Riccardo ist die Entstehungsgeschichte interessant. Es gibt ja eigentlich zwei ‚Riccardo Primo’-Fassungen. Händel schrieb ihn 1727 ursprünglich für König George I. Nachdem der englische König aber auf dem Weg nach Hannover gestorben war und sich zudem bei den Proben die beiden Diven Faustina Bordoni und Francesca Cuzzoni im wahrsten Sinne des Wortes in die Haare geraten waren, schrieb Händel das Stück ein halbes Jahr später für die Krönung des neuen Königs noch mal um. Speziell der letzte Akt ist in der Instrumentierung wesentlich farbiger und dramatischer gestaltet. Mit den Trompeten, Pauken und den Flöten, die von der Piccoloflöte bis zur Flauto Basso reichen.«
Neben der ebenfalls mit Goodwin realisierten Aufnahme hat Hofmann aber gleich noch höchstselbst ein Projekt für den Countertenor Lawrence Zazzo und die Sopranistin Nuria Rial zusammengestellt, das Liebesduette aus kaum bekannten Opern von Händel vereint. So sehr Hofmanns ausgeprägte Entdeckerantennen einerseits sogar bis zu Schönberg reichen, so müssen es andererseits nicht immer nur bislang mächtig verstaubte Partituren sein. »Man kann so viel entdecken, wenn man in den Quellen liest, wie und mit welcher Besetzung die Werke aufgeführt worden sind. Man hat zwar wie beim ›Riccardo‹ nicht die Originalbesetzung, aber eine großzügige Orchesterbesetzung – womit alles einen voluminösen Sound, alles einen ganz anderen Swing und Drive bekommt.« Solche Überraschungseffekte will Hofmann zukünftig jedoch nicht nur dem Opern-, sondern auch dem Instrumentalkomponisten Händel entlocken. »Corellis Concerti Grossi wurden damals in Rom mit 24 Gei gen und ebenso vielen Continuo-Instrumenten aufgeführt. Wenn man die se Aufführungspraxis auf die Concerti Grossi von Händel übertragen oder die Besetzung von Händels Londoner Opernorchester übernehmen würde, könnte man auch da ein altes, neues Händelbild kreieren.« Die Händelwelt wird daher noch länger via Basel blicken und hören.
DHM/Sony
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